Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)
genommen hatte, ließ er die heiße Asche ins Saftglas fallen. Mama entfuhr ein entsetztes Quieken.
» Kurwa , Damian!«, fluchte Dorota. »Asch doch nicht in Glas von Frau Professor!« In Polen wurden Lehrer meistens mit »Professor« angesprochen. Das verlieh ihrem Berufsstand Autorität und sorgte für den respektvollen Umgang. Aber wären Damian und Dorota Mamas Schüler gewesen, hätten sie jetzt nicht viel zu lachen gehabt.
»Damian, Räupchen«, sagte Dorota. »Holst du eben Aschenbecher von uns!«
Damian erhob sich schwerfällig und kam nach wenigen Minuten mit einer goldfarbenen Metallfliege von der Größe eines Festtagsbratens wieder. Sie hatte Flügel, die man hochklappen konnte, und in ihrem ebenfalls vergoldeten Inneren lag ein stattlicher Haufen braun geschmauchter Kippen.
»Haben wir gekauft in Polen. Manchmal gab auch schöne Sachen«, sagte Dorota und strich der Fliege liebevoll über den monströsen Kopf, während Mama sich bemühte, beim Husten nicht zu erbrechen.
Später, als im Rauch nur noch unsere blassen Schemen sichtbar waren, erzählte Dorota uns von der Existenz eines Aussiedler-Codes, an dem jeder ablesen konnte, wo der andere stand, wie viel Ansehen er verdiente und wie groß seine Chancen auf Erfolg waren. Die Herausforderung für einen unerfahrenen Aussiedler bestand darin, in einer festgelegten Reihenfolge bestimmte Besitztümer anzuhäufen.
»Das Wichtigste ist Teppich«, erklärte Dorota. »Können deine Kinder auf Teppich spielen, hast du Zuhause, wie in Polen. Teppich ist einfach. Gibt auf Spärrmiel Teppiche zuhauf. Dann brauchst du gute Kaffeemaschine, ist schwieriger. Stellen Leute nicht so oft vor Haus. Aber wirst du auch respektiert, wenn du Schreibmaschine findest. Kannst du Briefe an Behörde schreiben, hast du ständig Besuch von Leute, die Schreibmaschine brauchen. Dann musst du haben Spezialradio für Kassetten überspielen. Aber das Wichtigste ist Fernseher in Farbe. Findet man auf Spärrmiel selten, und dann ist meistens kaputt. Aber kannst du Geschäfte machen, wenn du reparieren kannst.«
Mama warf Papa einen vielsagenden Blick zu.
»Fährst du aber nicht nach Polen, bevor du gute Auto hast«, ergänzte der wortkarge Damian. »Muss deutsch sein. Glaubt sonst keiner, dass dir hier bessergeht. Holt ihr euch alles von Spärrmiel, wenn ihr klug seid, und spart ihr für gute deutsche Auto.«
Mama bedankte sich für die wertvollen Ratschläge mit einem ehrlichen Husten.
In den kommenden Nächten schliefen wir bei offenem Fenster, in mehrere Schichten Kleidung gehüllt und in Decken gewickelt wie fette Kohlrouladen. Bis der Gestank vollständig verflogen war, verging eine ganze Woche.
Ein polnisches Sprichwort sagt: »Gast im Haus, Gott im Haus.« Seit die Ogóreks gegenüber eingezogen waren, hatte Papa eine bessere Version auf Lager: »Gast im Haus, Gott weiß warum.«
15.
Der erste Schultag
»Ich habe dich in der Schule angemeldet«, sagte Papa, als sich die ersten Oktoberblätter von Bäumen und Kalendern zu lösen begannen. Einige Wochen nach offiziellem Schulbeginn sollte ich in eine schon bestehende zweite Klasse kommen. Mit meinen acht Jahren hätte ich in Deutschland eigentlich schon die dritte Klasse besuchen müssen, aber Papa hatte dem Direktor bei der Anmeldung erzählt, dass ich in Polen nur Fünfen nach Hause gebracht hätte. Er wusste nicht, dass eine Fünf hier etwas anderes als die Bestnote war.
Auf meinen ersten Tag in der deutschen Schule bereitete ich mich schon lange vor. Aus dem kostenlosen Apotheken-Magazin »Junior« hatte ich Passbilder von Kindern ausgeschnitten, die Brieffreunde suchten, und sie in ein Notizbuch geklebt. Mit Papas »Diebels«-Kugelschreiber hatte ich den fehlenden Körper dazu gemalt, mitsamt der Kleidung, die ich mir an deutschen Kindern eben vorstellte. In ihren Gesichtern versuchte ich zu lesen, was sie einmal werden wollten, welche Hobbys sie hatten und nach welcher HARIBO -Sorte sie am liebsten griffen. Nur eine Frage konnte ich nicht beantworten, egal wie tief ich in all die Kinderaugen sah: ob sie sich mit einem Mädchen anfreunden würden, das nur Polnisch sprach.
Obwohl ich schon viele Dinge richtig benennen konnte und manches verstand, war mein einziger sicher sitzender Satz immer noch: »Ich habe kein Geld.« Damit musste ich auskommen. Ich konnte auch behaupten, ich hätte sehr wohl Geld. Dann würde es heißen: »Ich habe Geld.« Streng genommen hatte ich also ganze zwei Sätze auf Lager.
In Polen
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