Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)
Polen. Hallo Alexandra!« Sie lächelte mich breit an, und ich staunte über ihre großen Zähne, über denen sich das Zahnfleisch wölbte wie ein rosiger Morgenhimmel.
» HAL-LO A-LEX-AN-DRA !«, rief die Klasse im Chor zurück.
»Ich bin Frau Stubenrecht«, sagte die Lehrerin, nahm ein Stück Kreide zwischen die Finger und schrieb ihren Namen an die Tafel. Dann reichte sie mir die Kreide und bat mich, auch den meinen an die Tafel zu schreiben. Ich gab mir große Mühe mit meiner Schönschrift. Dabei entdeckte ich, dass die Buchstaben von Frau Stubenrechts Schreibschrift ganz anders aussahen als die, die ich in der Schule gelernt hatte. Was bei ihr eine bauchige Schlaufe war, war bei mir ein schlanker Spazierstock. Außerdem wurde der Name der Lehrerin ganz anders geschrieben, als er gesprochen wurde, also nicht Sztubenrest , wie ich ihn geschrieben hätte. Was Frau Stubenrecht danach zur Klasse gesagt hatte, habe ich nicht verstanden, aber alle erhoben sich von ihren Plätzen und reihten sich vor mir auf, als wäre ich ein Pfarrer, der Hostien austeilt. Dann fingen sie an, mir einer nach dem anderen die Hand zu reichen und jeweils ein Wort zu sagen.
»Volker.«
»Mareike.«
»Doreen.«
»Achmed.«
Dass es sich bei den merkwürdigen Wörtern um Namen handelte, begriff ich erst, als ein kastenförmiges, kurzgeschorenes Mädchen herrisch vor mich trat und auf Polnisch raunte:
»Ewa. Ich bin auch aus Polen. Aber denk bloß nicht, dass ich deine Freundin bin.«
Das also war die zweite Polin! Ich senkte beschämt den Blick. Sie trug natürlich keine Eichhörnchen-Schuhe.
In der kleinen Pause hatte meine nette Sitznachbarin Fatma den Klassenraum verlassen, und ich wusste nicht, was ich mit mir anstellen sollte. Ewa Kowalski saß nur zwei Plätze weiter und schlürfte ein Tütchen Capri Sonne. Sie war die Einzige, die Polnisch konnte, also beschloss ich, es noch mal mit ihr zu versuchen. Sie trug ein Hemd mit steifem Kragen und darüber einen weinroten Pullunder mit einem kleinen aufgenähten Krokodil auf der Brust. Als ich mich zu ihr drehte, zog sie die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen und ließ die Fingerknöchel knacken.
»Du hast einen schönen Pullover an«, sagte ich zu ihr.
Mama hatte mir beigebracht, dass man mit netten Komplimenten den ärgsten Rivalen erweichen konnte.
»Du nicht«, entgegnete Ewa barsch.
»Ich weiß«, war alles, was ich erwidern konnte.
»Mein Pullover ist ein Markenpullover«, erklärte Ewa. »Der hat richtig viel gekostet, weißt du?«
»Hast du ihn geschenkt bekommen?«, fragte ich, damit das Gespräch nicht gleich wieder abbrach.
»Das geht dich gar nichts an. Und nun hör auf, mich vollzulabern. Freundinnen hab ich genug.«
Sie saugte ihr Trinktütchen leer und wanderte behäbig zum Mülleimer, wo sie sich zu den zwei Mädchen gesellte, die auf der Treppe über mich getuschelt hatten. Sie ließ mich in einer Verwirrung zurück, aus der mich nur der Pausengong reißen konnte.
In der nächsten Stunde stand ein Diktat an. Die Kinder holten ihre Hefte heraus, und ich tat es ihnen gleich. Eine Besonderheit deutscher Hefte war, dass der Umschlag wie Autolack glänzte und hinten Comics von Donald Duck abgedruckt waren. Die Linierung im Heft war sehr eigenartig, sie erinnerte eher an Notenblätter. Während Frau Stubenrecht mit getragener Stimme einen Text vorlas, stellte ich erstaunt fest, dass ich ziemlich viele Wörter schon mal gehört hatte und Buchstabe für Buchstabe zu Papier bringen konnte. Nach dem Diktat ging die Lehrerin durch die Reihen, las, was die Kinder geschrieben hatten, und setzte dann mit einem Kopfstreicheln hier und einem Schulterklopfen dort kleine rosa Stempel in die Hefte der Kinder. Auch ich bekam einen. Es war ein Elefant, der auf einem Ball balancierte.
»Hey, warum krieg wieder nur ich keinen Stempel!?«, schrie ein dunkelhaariger Junge, der ganz am Rand in der letzten Reihe saß. Alle Köpfe drehten sich abrupt zu ihm um.
»Du hast kein einziges Wort richtig geschrieben, Dominik«, sagte die Lehrerin mit bedauerndem Kopfnicken.
Der Junge schaute ungläubig in sein Heft, dann stieß er sich mit ausgestreckten Armen von seinem Tisch weg, der für einen spannungsgeladenen Moment kippelte, bevor er scheppernd zu Boden krachte. Ich war entsetzt. Wie konnte sich ein Schuljunge so benehmen? Zu allem Überfluss beeilte sich die Lehrerin gleich, ihn mit lieben Worten zu besänftigen, statt ihn einfach an Arsch und Kragen zu packen und aus der Klasse
Weitere Kostenlose Bücher