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Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)

Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)

Titel: Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Tobor
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war es nicht schwer gewesen, gemocht zu werden. Es reichte, wenn man nett und hilfsbereit war. Kleine Charakterfehler fielen weniger auf, wenn man Sachen aus dem Westen besaß. Ein Haargummi mit Plastikkirschen wie die unnahbare Ania oder einen Schokoladen-Nikolaus in der Vitrine wie meine durchtriebene Freundin Aneta.
    Ob es etwas gab, das von meiner Sprachlosigkeit ablenken würde, womit man deutsche Kinder beeindrucken konnte, vielleicht etwas, das es in ihrem Land nicht gab? Ich beschloss, dass ich für den Anfang meine roten Eichhörnchen-Schuhe tragen würde. Sie waren »Made in China«, was in Polen der Inbegriff von extravagantem Chic und weltlicher Eleganz war. Dass jedes zweite Mädchen die gleichen hatte, minderte ihren Reiz nicht, im Gegenteil, das machte sie umso besonderer. Durch Identisches wurden wir magisch verschwistert. Vielleicht hatten diese Schuhe auch die Macht, mich zum beliebtesten Mädchen einer deutschen Klasse zu machen?
    An meinem großen Tag erwachte ich vor allen anderen. Draußen war es noch düster, nur aus dem Flur drang Licht durch den Türspalt. Von der oberen Etage des Bettes sah ich meinen neuen Ranzen schimmern. Hätte Mama nicht auf den letzten Drücker ein Sonderangebot gefunden, hätte ich mit einer Plastiktüte vorliebnehmen müssen. Das Mäppchen, das Papa für mich gekauft hatte, war schon fertig ausgestattet mit Buntstiften, Filzstiften und verschiedenen Linealen. Im Mäppchen gab es außerdem einen Zauberstift, mit dem man Tinte verschwinden lassen konnte, und der herrliche Duft des Radiergummis machte mir bewusst, wie lange ich schon in keinen mehr gebissen hatte.
    Ich kletterte vom Hochbett und griff nach der Kleidung auf dem Stuhl, die Mama am Vorabend für mich ausgesucht hatte. Sie hatte sich gegen den rosa Jogginganzug entschieden und den dunklen Jeansrock rausgelegt, der mit seinen sternchenförmigen Nieten das Westlichste war, was man in Polen hatte kriegen können. Zum Rock passte der eingelaufene, knastgittergestreifte Pullover aus Kratzwolle, weil er mein einziger Pullover war, und eine Falten werfende Strumpfhose in dumpfem Beige, die mir beständig vom Hintern rutschte. Im kalten Licht des Badezimmers starrte ich lange in den Spiegel, um mir selbst Gesellschaft zu leisten. Weder Mama noch Papa würden mich zur Schule begleiten. Sie mussten Tomek in den Kindergarten bringen und anschließend zum Sprachkurs eilen. Außerdem wollten sie mich zur Selbständigkeit erziehen, und dazu gehörte, dass ich mich in Situationen, die neu und fremd waren, allein zurechtfand. Meine Angst wurde nur durch einen Blick auf die Eichhörnchen-Schuhe gemildert.
    »Bombig!«, sagte Mama, als ich fertig im Türrahmen stand, nach polnischem Frisurenverständnis gestriegelt, mit einer riesigen weißen Schleife über der Stirn und dem pinkfarbenen Tornister auf dem Rücken.
    »Sei brav. Sag nichts Falsches. Fall bloß nicht auf«, gab sie mir auf den Weg.
    In der Nacht war ein dichter Nebel aus der Erde gekrochen. Spinnwebengleich hing er von den Bäumen und trübte die Sicht wie Milchglas. Konzentriert lief ich den Weg entlang, den Papa mir am Vortag gezeigt hatte: eine Abkürzung durch den Park. Die alten Eichen wirkten im Nebel wie Spukgespenster. Ich beschleunigte meinen Schritt, dabei ließ ich die roten Schuhe nicht aus den Augen, denn sie bestätigten mir, dass ich noch festen Boden unter den Füßen hatte.
    Als der Park hinter mir lag, stellte ich fest, dass die Straße, auf der ich rauskam, nicht die war, die ich erwartet hatte. Über einer Bäckerei quietschte ein Brezelschild im Wind. Ich blickte nervös um mich. Weit und breit war kein Schulkind zu sehen, das mir als Wegweiser hätte dienen können. Nur ein Müllwagen, der unter ohrenbetäubendem Getöse seine Scheinwerferglotzer kullern ließ. Als der Müllwagen weg war, sah ich, dass er mir die Sicht auf die Schule versperrt hatte, deren Blöcke nun grau aus dem Dunst tauchten. Graue Blöcke mit gelb gestrichenen Fensterrahmen. Ich atmete erleichtert auf. Hinter welchem Fenster sich wohl meine neue Klasse befand?
    Die Geräuschkulisse des Schulhofs drang immer lauter zu mir herüber. Durch das Schlottern meiner Knie kam die Strumpfhose ins Rutschen. Ich korrigierte beschämt ihren Sitz. Plötzlich kam mir meine Angst ganz dumm vor. In Polen wurden Ausländer wie heilige Kühe verehrt. Warum sollte es hier anders sein?
    Auf dem Schulhof wütete ein Meer aus bunten Mützen und blinkenden Ranzen. Ich näherte mich

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