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Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)

Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)

Titel: Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Tobor
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Klopapierrolle in den Händen, in der ein mümmelnder Hamster steckte.
    »Isa, hab ich dir gesagt sollst du Tier in Ruhe lassen!«, mahnte Dorota. »Machst du alle deine Hamster kaputt!«
    »Dumme Ziege!«, rief Bajtek, der sich halsbrecherisch vom Etagenbett stürzte, um seiner Schwester tadelnd an den Kopf zu patschen.
    » Kurwa , Bajtek! Red nicht so hässlich vor Frau Professor«, fuhr Dorota dazwischen, und zu meinen Eltern gewandt sagte sie: »Kommen, kommen. Steht Drink schon auf den Tisch. Sag ich euch, Kinder erziehen ist Ding von Unmöglichkeit. Wie Regenschirm in Arsch aufmachen.«
    Meine Mutter setzte ein halb verkrampftes, halb verständnisvolles Gesicht auf und kraulte Tomek beidseitig das Köpfchen, was bedeutete, dass sie ihm diskret die Ohren zuhielt.
    »Hey, Ola!«, rief Bajtek mir wacker zu. »Lange nicht gesehen.«
    Ich wollte nichts lieber, als etwas zu entgegnen, aber ich brachte nur ein dünnes Quieken zustande. Dass Bajtek ein bisschen wie Majkel aus der amerikanischen Serie mit dem sprechenden Auto aussah, raubte mir den Atem.
    Während meine Eltern höflichkeitshalber an Dorotas Drinks nippten und Bajtek wie ein Erwachsener mitnippte, spielte ich mit Isa und ihrer Barbie, die mich erstaunlich wenig interessierte, obwohl man aus ihrem Kleid fünf andere zaubern konnte. Als meine Eltern sich endlich verabschiedeten, war ich erleichtert. Ich konnte es kaum erwarten, im Bett mit Eulenaugen an die Decke zu starren und von dem Tag zu träumen, an dem Bajtek mir seine Liebe gestehen würde. Er trüge einen Turban mit Fasanenfeder, ich ein luftiges Lambada-Röckchen, und auf dem Rücken eines Rappen galoppierten wir in die glühenden Weiten der Wüste.
    In den kommenden Tagen machte mein Zustand mich so anfällig für Peinlichkeiten, dass ich es für das Klügste hielt, Bajtek aus dem Weg zu gehen. In der Schule war das kein Problem. Bajtek ging schon in die vierte Klasse und musste nicht zum Förderunterricht. Auf dem Schulhof stand er immer abseits, bei den älteren Jungs. Wir kamen uns nicht in die Quere. Doch wenn Dorota uns abends besuchte und Bajtek dabeihatte, stellte ich mich schlafend, und wenn er mir auf dem Flur entgegenkam, hockte ich mich hin und schnürte mir langsam und sorgfältig die Schuhe. Ich lief sogar absichtlich mit losen Schnürsenkeln rum, damit ich jederzeit einen Grund hatte, mich zu ducken. Ich würde Bajtek nie zeigen können, dass ich ihn mochte. Ich war nicht wie das Mädchen aus dem Lambada-Video.
    Zu unserem zweiten Wortwechsel kam es erst am Tag des vorweihnachtlichen Sperrmülls, dem alle in der Baracke entgegenfieberten. Während die Erwachsenen von neuen Teppichen, Fernsehern und Regalen träumten, hoffte jedes Kind, dass es seine Eltern begleiten durfte, wenn die Dunkelheit sich über den Schatzhügeln herabsenkte. Sperrmülljäger gingen über Leichen. Sie schritten unerschrocken über ausgefranste Bürostühle, zerbrochene Blumenkübel, kahle Schaufensterpuppen und von den eigenen Federn durchbohrte Matratzen. Aus den Trümmerlandschaften befreiten sie alles, was noch zu retten war, und transportierten es in geliehenen Einkaufswagen blitzschnell in die Baracke. Die Plünderung der Straßen erforderte ein gutes Auge, Willensstärke und Schnelligkeit. Nur wenige waren so geschickt wie Damian und Dorota Ogórek, die als Könige des Sperrmülls galten. Sie sammelten kaputte Fernseher und Videorekorder, ließen sie billig reparieren und verkauften sie zu horrenden Preisen an ahnungslose Aussiedler weiter, denen sie in der polnischen Messe auflauerten. Mit den Profis auf den Sperrmüll zu gehen, war seit langem mein Traum.
    »Bitte, bitte, bitte, bitte, bitte!«, flehte ich meine Eltern am Sperrmülltag an. »Ich bin doch schon groß. Ich werde schon nicht verloren gehen.«
    »Nein«, wiederholte Mama. »Wo hat man denn so etwas gesehen, dass ein Mädchen nachts allein durch die Gassen streunt.«
    »Aber die Ogóreks passen doch auf mich auf. Außerdem darf sogar die kleine Isa gehen.«
    Nach mehrmaligen Bravheitsversprechen klopfte meine Mutter endlich bei Ogóreks und überließ mich unter Seufzern deren Obhut.
    Der Sperrmüll war genauso aufregend, wie alle immer erzählt hatten. An jeder Straßenecke war ein kleines Wohnzimmer, und überall standen Kisten, in denen man nach Herzenslust wühlen konnte.
    »Komm mit!«, rief Bajtek plötzlich und zog mich an der Hand in eine dämmrige Gasse, in der ein ausrangiertes, rotes Sofa stand. »Schau dir das an. Ist das

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