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Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)

Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)

Titel: Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Tobor
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der Ogóreks war vollgehängt mit seinen Werken. Zum größten Teil waren darauf röhrende Hirsche im Dämmerschein und nebelverhangene Mühlen zu sehen, über die sich ein Vorhang aus abgeschossenen Vögeln senkte. Papa nahm das Angebot an – bestimmt wollte er den Künstler nicht beleidigen –, und Damian holte ein in Packpapier gewickeltes Gemälde unter dem Bett hervor. »Hier. Das kommt von Herzen. Müsst ihr aufhängen, bringt Glück.«
    Als wir den Ölschinken zu Hause ausgepackt hatten, wurde ich zum ersten Mal Zeuge eines Fluches aus dem Mund meiner Mutter. Anschließend brachen meine Eltern in ein Gelächter aus, wie man es nur von Trauerfeiern kennt. Damian hatte sich selbst als leidenden Christus am Kreuz verewigt, Dorota grinste uns spitznasig aus dem Antlitz der Mutter Gottes entgegen, und am unteren Bildrand schauten Bajtek und Isaura verträumt in wolkige Himmelshöhen, eingeschlossen in die fetten Babykörper zweier Engel. In unserem Zimmer waren die Ogóreks jetzt so allgegenwärtig wie der Herrgott persönlich. Aber während das Gemälde meinen Eltern Alpträume bescherte, half es mir über meinen Liebeskummer hinweg. Schon nach kurzer Zeit konnte ich in Bajtek nicht mehr das Geringste von Majkel erkennen. Er sah einfach zu bescheuert aus als dickes Engelchen.

18.
Der Zorn des Nussknackers
    Seit November waren alle Äste in der Stadt mit Lichterketten behängt. In den Schaufenstern funkelten prächtige Weihnachtsbäume, und glänzende Kristallspiegel vervielfachten ihren Zauber. Selbst in der Baracke liefen aufziehbare Weihnachtsmänner über den Flur und schlugen mechanisch ihr Glöckchen. Die deutsche Vorweihnachtszeit war ein üppig inszeniertes Winterspektakel, auch wenn der einzige Schnee aus der Puderzuckerdose des Waffelbäckers kam.
    Um es heimatlicher zu haben, sprühten viele Polen künstlichen Frost an ihre Fenster und hängten Wattebällchen auf. Andere gaben sich mit einem Tannenzweig zufrieden und arbeiteten lieber an ihrem persönlichen Wirtschaftswunder. So wie meine Mutter, die eine Woche vor Weihnachten mit kindlichem Eifer und heraushängender Zungenspitze ihre Sparerfolge notierte.
    »Es reicht noch lange nicht für ein Auto«, seufzte sie zu Papa gewandt, der im Lichtkegel einer billigen Tischlampe saß und in einem Videorekorder stocherte.
    »Wir müssen ein Paket nach Polen schicken und haben nicht mal Fotos, die wir vorzeigen könnten.«
    Papa blickte auf. »Dann machen wir schnell welche!«
    »Ja, aber wovon denn? Doch nicht etwa von der Baracke!«
    »Warum nicht?«, fragte Papa. »Wir haben es doch nett hier drin. Fünf Teppiche, Farbfernseher …«
    Unsere Blicke wanderten gemeinsam durchs Zimmer. Über die nackte Glühbirne hatten wir zuletzt eine St.-Martins-Laterne gestülpt. Aus Matratzenteilen vom Sperrmüll hatte Mama eine Art Sofa gebaut, deren Unvollkommenheit sie unter eng gespannten Decken versteckte. Sperrmüll-Teppiche, so weit das Auge reichte. Das alles schien Mama nicht mehr wertschätzen zu können, denn sie schaute Papa leidend an.
    »Ich habe eine Idee«, verkündete Papa nach kurzem Grübeln. »Warum leihen wir uns nicht einfach irgendwo einen Mercedes? Wir fotografieren uns davor und schicken die Bilder mit dem Paket nach Polen. Drüben kann doch keiner wissen, dass es nicht unser Auto ist!«
    »Na gut«, seufzte Mama. »Das ist besser, als wenn man uns für Gescheiterte hält.«
    Meine Eltern konnten auf die Schnelle zwar keinen Mercedes, dafür aber einen schönen roten Opel auftreiben, der einem Bekannten von Dorota gehörte. Am Sonntag, gleich nach der polnischen Messe, fuhren wir damit auf den leeren Parkplatz einer über den Winter geschlossenen Freizeitanlage.
    Als Erstes war Papa an der Reihe, und Mama musste die Fotos schießen. Papa war ein Naturtalent. Er wusste instinktiv, wie man vor einem westlichen Auto zu posieren hatte. Er drehte sich ins Profil und hängte den Arm locker über die geöffnete Fahrertür. Dann machte er ein Hohlkreuz, damit sein ehrlich erworbener Wohlstandsbauch, ein sogenannter Bierbauch, noch besser zur Geltung kam. Bei den nächsten Aufnahmen sollte der Wagen von vorn zu sehen sein und Mama, die ihre schimmernde Sonntagsbluse anhatte, den Opel mit schwungvoller Armbewegung präsentieren, so als handelte es sich um den Hauptgewinn in einer Spielshow. Die letzten Bilder auf dem Film verwendete Papa darauf, Tomek und mich abzulichten, wie wir uns von verschiedenen Seiten an den Opel schmiegten, als wäre er

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