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Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)

Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)

Titel: Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Tobor
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Frau Ogórkowa besuchte, schob sie für mich eine Kassette in den Videorekorder, die mit »Teledyski« beschriftet war. Sie enthielt verschiedene aus dem Fernsehen aufgenommene Musikvideos. Lambada war ein Lied, eine Mode und ein Tanz, aber vor allem war es ein neuartiges Gefühl, ausgelöst von zwei Kindern, die vor südländischer Meereskulisse die Hüften kreisen ließen. Das Mädchen hatte eisblaue Augen und lange blonde Haare, und der Junge, der sie im Tanz eng umschlungen hielt, war schwarz. Während eine Frau mit Vogelnest auf dem Kopf die melancholische Melodie sang, tanzten die beiden inmitten fliegender Röcke von der Farbe sonnengereifter Zitronen. Als würden die sichtbaren Pobacken der erwachsenen Frauen sie nicht beschämen, als wäre es egal, dass sie nicht die gleiche Hautfarbe hatten, als spielte es keine Rolle, dass das Mädchen einen Kopf größer war als ihr dunkelhäutiger Tanzpartner. Sie tanzten wie Erwachsene, Stirn an Stirn, mit einer rätselhaften Sehnsucht im Blick.
    Zwar wusste ich, dass es außer der Liebe zu Gott und der Vaterlandsliebe auch die Liebe zwischen Mann und Frau gab. Aber für Kinder war diese Liebe verboten, und selbst die Erwachsenen hörte man selten darüber reden. Dorota Ogórkowa war eine große Ausnahme. Bei ihr durfte ich das Video, das meine Mutter »unanständig« fand, so oft schauen, wie ich wollte. Es war unser Geheimnis, genau wie die Zigarette, an der sie mich einmal spaßeshalber hatte ziehen lassen.
    Unser Zimmer war erfüllt vom Duft spritzender Mandarinen. Wir saßen im Schein brennender Teelichter, als Mama mich bat, den Müll rauszutragen. Um es so schnell wie möglich hinter mich zu bringen, schlüpfte ich in Mamas riesige Latschen und schlappte zum Müllcontainer. Als sich meine Augen zufällig vom Boden lösten, erblickte ich im grellgelben Licht der Laterne einen Jungen, der mit einer Dose Flirt in der Hand vor den Müllcontainern auf und ab ging. Obwohl ich mich plötzlich für die Latschen an meinen Füßen schämte, steuerte ich schnurstracks auf den Container zu. Ohne den Jungen eines Blickes zu würdigen, geradezu als wäre er unsichtbar, schob ich den Containerdeckel hoch und ließ den Müllsack hineinplumpsen.
    »Hey, wohnst du hier?«, fragte der Junge auf Polnisch. Der Wind hatte mich zu ihm gedreht wie einen willenlosen Wetterhahn, so dass ich ihm direkt ins Gesicht sehen musste. Ein Gewühl von Löckchen, luftigen Wirbeln und schmalzigen Spiralen wand sich auf seinem Kopf. Er sah etwas älter aus als ich, und seine Haut war dunkler als bei den kränklich blassen Polenjungen, die verstohlen durch die Gänge der Grundschule schlichen. Er trug eine speckige, viel zu große Lederjacke, unter der ein schwarzes T-Shirt mit fauchendem Panther aufblitzte.
    »M-hm«, bejahte ich. »Da drin.« Ich zeigte auf die Baracke, obwohl weit und breit kein anderes Gebäude stand, in dem ich hätte wohnen können.
    »Ich auch!«, rief der Junge zu meinem Erschrecken und streckte mir seine große Hand entgegen. »Ich bin Bajtek«, stellte er sich mir vor. Nun wurde mir einiges klar. Bajtek, der Sohn von Ogóreks, der bei seinen Großeltern Deutsch lernen musste, bevor seine Eltern ihn aus Polen einreisen ließen. Meine Hand verschwand zitternd in seiner.
    »Ich bin Ola«, presste ich aus mir heraus. Bajtek sah mich belustigt an.
    »Ich bin mit meiner kleinen Schwester gekommen.«
    Isaura, dachte ich.
    »Isaura«, sagte Bajtek.
    »Du hast eine Schwester?« Ich tat überrascht.
    »Ja. Hey, sie hat eine echte Barbie dabei. Wenn du nett zu ihr bist, lässt sie dich bestimmt damit spielen!«
    »Das wäre … super!«, stammelte ich.
    »Also dann … Wir sehen uns«, sagte Bajtek zwinkernd, worauf ich, statt zu antworten, mit hochrotem Kopf und fliegenden Latschen nach Hause stolperte.
    Kurz nach meiner atemlosen Ankunft klopfte Dorota an die Zimmertür und lud unsere ganze Familie zum Vorstellungsumtrunk ein.
    »Sind Kinder jetzt da, können wir kennenlernen!«, erklärte sie meinen Eltern im blechernen Brüllton. Wie so manche Frau aus Oberschlesien klang sie selbst in herzlichen Momenten, als würde sie ein unartiges Kind anschreien. Ich tauschte flink Mamas Latschen gegen meine chinesischen Eichhörnchen-Schuhe und fuhr mir einige Male plättend über die Haare.
    Als wir auf den Flur traten, stand die Tür bei Ogóreks schon offen. Ich entdeckte sofort die kleine Isaura, ein Mädchen, dessen Alter ich auf Vorschule schätzte. Sie hatte eine leere

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