Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)
nicht abgefahren?«
Ich nickte. Mit etwas Fantasie sah das Sofa aus, als würde es fliegen können.
»Lass uns kurz hinsetzen«, schlug Bajtek vor. »Ich muss dir unbedingt etwas zeigen.« Er begann, in seiner großen Jackentasche zu wühlen, aus der er nacheinander eine schlaffe Kaugummizigarette, einen Fünfmarkschein und allerlei kleine und große Schrauben beförderte.
»Komisch. Ich find’s gerade nicht. Weißt du eigentlich, dass ich gestern Nacht mit meiner Mutter bei euch war?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Ja. Und ich habe dir beim Schlafen zugesehen.«
Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte, und spürte nur, wie ich rosa anlief. Bajteks Finger tasteten immer noch die Taschen seiner Jacke ab. Und plötzlich begriff ich. Bajtek hatte nicht weniger vor als mir hier, auf dem roten Sofa, vor der romantischen Kulisse einer nachtbeleuchteten Stadt, seine Liebe zu gestehen. Und das, wonach er suchte, war offenbar ein Verlobungsring aus dem Kaugummiautomaten. Der Tag, auf den ich so sehnsüchtig gewartet hatte, war endlich gekommen.
»Und dann?«, flüsterte ich erwartungsvoll.
»Hmm? Was?«
»Du … du hast gesagt, dass du gestern bei uns warst.«
»Ach ja, richtig. Und ich habe dir beim Schlafen zugesehen. Du sahst aus wie …« – und ich ahnte es schon: wie eine Prinzessin?
»Wie unser Hamster«, platzte Bajtek heraus.
Über die Liebe zwischen Mann und Frau wusste ich nicht viel, und doch genug, um zu begreifen, wie wenig ein Hamster damit zu tun haben konnte. Mit einem Kloß im Hals starrte ich auf Bajteks Schuhe, während mein Gesicht versteinerte.
»Ah, hier! In der Hosentasche!«, rief Bajtek und klopfte sich an den Hintern. Er zog ein Stück Pappe aus seiner Jeans und legte es neben sich aufs Sofa.
»Ich wollte dir eigentlich etwas sagen«, begann er von neuem.
Ich lauschte. Hatte er sich etwas Romantisches aufgeschrieben? Vielleicht hatte ich ihn einfach falsch verstanden und Hamster war für ihn ein Kosewort wie Kätzchen oder Würmchen.
»Ich glaube, ich habe mich verliebt.«
Ich fiel in eine innere Ohnmacht.
»In eine Deutsche«, ergänzte Bajtek. »Sie geht in die sechste Klasse und ist die schönste Frau, die ich je gesehen habe … Und so reif … sie hat sogar schon Busen. Wie die Frauen bei Tutti Frutti !« Mein Herz brach mit einem Schlag entzwei.
»Du bist in eine alte Deutsche verliebt?«, krächzte ich mit dünner Stimme.
»Ja. Findest du das schlimm? Ich mag polnische Mädchen eigentlich gar nicht«, gestand Bajtek, ohne meine Antwort abzuwarten. »Die haben alle so ein breites Gesicht, wie fette russische Bäuerinnen.«
»Sehe ich auch aus wie eine fette russische Bäuerin?«, fragte ich, tonlos vor Bestürzung.
»Du doch nicht!«, lachte Bajtek und boxte mir kumpelhaft in die Schulter. » Du siehst aus wie ein Hamster!«
Von meiner Erschütterung bekam Bajtek nichts mit. Mit verklärtem Lächeln erzählte er mir, wie lange er schon für die Deutsche schwärmte. Dass sie glühende Blicke zwischen den Schulhöfen tauschten, und wie sie ihm kürzlich eine Botschaft zugesteckt hätte, die er seitdem jedem zeigen würde, der sie sehen wollte. Endlich griff er nach der Pappe, die er zuvor aus seiner Hosentasche gezogen hatte. Es war eine in der Mitte geknickte Postkarte, die einen Sonnenuntergang mit geschwungener Palme zeigte. Auf der Rückseite prangte ein Herzaufkleber, und darunter stand etwas geschrieben. Bajtek las vor: »Iiii … Loffe. Eeeh! Ooo! Uuu!«
»Was soll denn das heißen?«, fragte ich.
»Das weißt du noch nicht?«, lachte Bajtek. »Loffe heißt Liebe auf Englisch! Was dieses I und Y und O und U sollen, weiß ich auch nicht. Wahrscheinlich eine Abkürzung oder so was. Aber sie liebt mich! Kapierst du? Da steht Loffe! Und Loffe heißt Liebe auf Englisch!«
Bajtek drückte die Postkarte an seine Brust und sprang tänzelnd vom Sofa. »Komm, wir müssen meine Eltern finden!« Diesmal nahm er mich nicht an die Hand.
Damian und Dorota hatten auf dem Sperrmüll einen Fernseher gefunden, für dessen Reparatur sie meinem Vater 20 Mark versprachen. Als Papa zusammen mit mir den wieder funktionierenden Fernseher bei Ogóreks ablieferte, begann Damian herumzudrucksen.
»Jaaa … weißt du … haben wir gerade schlechte Geschäfte gemacht. Kein Geld. Können wir aber mit Bilder bezahlen.«
»Kunst!«, rief Dorota aus dem Hintergrund, »Lux!«, und ließ die Asche ihrer Zigarette in die goldene Fliege fallen. Damian war Maler. Das ganze Zimmer
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