Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)
Magengeschwüre wuchsen und Blinddärme platzten, und glücklich war jeder, der Urlaub im Krankenhaus machen konnte, wo die Zimmer größer und die Toiletten sauberer waren und wo er gegen Erniedrigungen von Sachbearbeitern und plump-vertraulichen Nachbarn gefeit war. Der Herr, den Papa »der kleine Stalin« nannte, kehrte erholt aus dem Krankenhaus zurück und berichtete, wie ihm während einer medizinischen Foto-Session, bei der er sich wie ein Filmstar gefühlt habe, die Idee gekommen sei, sich selbst zum Hausmeister der Baracke zu ernennen. Seine erste Amtshandlung würde in der Einberufung einer Krisensitzung bestehen.
Die nämliche Versammlung fand Ende Februar im Gemeinschaftsraum statt. Meine Eltern hatten sich zunächst gegen die Teilnahme gesträubt. »Wo zwei Polen sind, da sind drei Meinungen«, sagte Mama immer. Das wollte ich mir ansehen. Gleich nach den Abendnachrichten sollte es losgehen.
Der Gemeinschaftsraum war schon gut gefüllt, als meine Eltern und ich ihn betraten. Frau Ogórkowa war auch da und hatte Damian mitgebracht, der mit hängendem Hemd, hängenden Armen und hängenden Lidern im Halbschlaf schwebte. Außerdem waren gekommen: die hübsche junge Frau Nagelfeilchen, das alte Ehepaar Wihajster, die Frau mit dem Dutt und ihr zahnarmer Gatte »Goldkrönchen«, ein paar Leute, die so farblos und langweilig waren, dass Papa sich noch keinen Namen für sie ausgedacht hatte, sowie der Star des Abends, der kleine Stalin, der sich sogleich als Moderator zu erkennen gab.
»Guten Abend, meine Herrschaften«, sagte er wichtigtuerisch, kreuzte die Hände auf dem Rücken und begann mit ausholenden Schritten auf und ab zu gehen. »Wir haben uns heute hier versammelt, um hoffentlich einträchtig und zu aller Zufriedenheit zu beschließen, was auf dem Hintergrund der Verfallserscheinungen der letzten Wo …«
In diesem Moment stürzte Herr Glatzenkamm in den Raum.
»Bitte entschuldigen Sie meine Verspätung, ich muss mich sehr entschuldigen. Das heißt, eigentlich muss ich meine Frau entschuldigen, die heute nicht kommen kann.«
»Aha«, brummte der kleine Stalin unter seinem Schnurrbart, »und was mag das wohl sein, was Ihrer Frau so viel wichtiger ist, als an unserer Versammlung teilzunehmen?«
»Ihr ist nicht gut«, erklärte Herr Glatzenkamm geknickt. Der kleine Stalin machte geschäftig eine Notiz auf seiner Programmliste.
»Wissen Sie, wenn ich es mir recht überlege«, nuschelte er an seinem Bleistift kauend, »ist es ganz gut, dass Ihre Frau nicht hier ist, denn wie ich gerade sehe, ist sie Teil des Problems, über das wir heute reden müssen und über das wir keineswegs offen reden könnten, wenn sie anwesend wäre. Diese Dame nämlich, meine Herrschaften«, sagte er zum Publikum gewandt, »weigert sich seit Wochen, das Gemeinschaftsbad zu putzen.« Ein unruhiges Raunen ging durch die Reihen, dann ließ Frau Dutt den Arm nach oben schnellen.
»Herrschaften, ich habe die Verweigerin persönlich zur Rede gestellt. Und dieses unmögliche Weibsbild behauptet allen Ernstes, keinen Dreck zu machen«, zeterte sie und sah sich Bestätigung heischend um.
»Entschuldigung, wenn ich vielleicht einige Worte dazu sagen dürfte –«, sagte Herr Glatzenkamm und setzte einen Buckel auf wie ein Geier.
»Wir bitten darum«, ermunterte ihn der kleine Stalin.
»Also, zunächst möchte ich eine Beschwerde vorbringen. In den Toiletten sind nämlich … nun, wie soll ich sagen … Sachen geschmiert worden, die …« Während er herumdruckste, drehte er die Finger ineinander wie ein Kind, das etwas verbrochen hatte.
»Bitte, erzählen Sie weiter.«
»Nun, wenn ich hier stellvertretend für meine Frau sprechen dürfte, die Türen der Toiletten sind mit … nun, mit gewissen Körperteilen bemalt … und ich persönlich, als gläubiger Katholik, kann nachvollziehen, warum meine Frau als ebenfalls gute und gläubige Katholikin, Sie verstehen, das Bad nicht mehr putzen will.«
»Aha, aha!«, rief der kleine Stalin, nachdem er den breiten Brustkasten voll Luft gezogen hatte. »Wer hat denn die Sie-wissen-schon da hingeschmiert?«
Wie eine fahndende Taschenlampe streifte sein mürrischer Blick über die plötzlich erstarrten Gesichter. Nur Frau Ogórkowa kicherte verdächtig in sich hinein. Herr Ogórek war eingenickt, und aus seinen fleischigen Lippen blubberten kleine Schnarchblasen.
»Herr Damian!«, brüllte der kleine Stalin. Dorota schüttelte ihren Mann, bis er wieder zu Bewusstsein
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