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Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)

Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)

Titel: Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Tobor
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Bruder.«
    »Warum?«
    »Wir haben nur dieses eine Zimmer. Das ist eine Notwohnung. Eine richtige Wohnung haben wir noch nicht bekommen.«
    »Okay«, sagte Dominik. »Was ist da drin?« Er wies mit dem Finger auf einen Pappkarton unter dem Bett.
    »Lego«, sagte ich. »Hast du Lust, damit zu spielen?«
    Dominik war begeistert. »Klar!«
    Ich schüttete den Kisteninhalt über dem Sperrmüllteppich aus.
    »Boah«, staunte Dominik. »Du hast ja viel mehr Lego als ich. Wieso denn das?«
    »Das ist gar nicht mein Lego«, entgegnete ich. »Das haben uns Deutsche geschenkt, von der Caritas.«
    »Helga hat also recht«, sagte Dominik. »Polacken kriegen alles in den Arsch geschoben.«
    »Stimmt nicht«, wehrte ich mich. »Wir hatten vorher überhaupt nichts.«
    »Womit hast du denn in der Polakei gespielt?«
    »Polen«, berichtigte ich ihn und erzählte von den zerstückelten Marzipanstücken, die ich mit Spucke zu absonderlichen Gebilden zusammensteckte. Das brachte Dominik zum Lachen.
    »Ich habe nicht mal eine Barbie«, warf ich hinterher.
    »Barbies sind auch scheiße. Hey, was arbeitet eigentlich dein Vater?«
    »Er repariert Fernseher. Und deiner?«
    »Keine Ahnung. Meine Eltern sind geschieden.«
    Dominiks Stimme hatte einen traurigen Ton angenommen. Ich wusste nicht, was ich antworten sollte, weil ich das Wort »geschieden« nicht kannte. Ich nahm mir vor, es bald im Wörterbuch nachzuschlagen.
    »Komisch«, sagte Dominik. »Helga hat gesagt, Polacken sind faul. Die wollen gar nicht arbeiten.«
    »Wer ist denn diese Helga eigentlich?«, fragte ich. In unserer Klasse gab es keine Helga.
    »Meine Mutter«, sagte Dominik.
    »Du nennst deine Mutter Helga?« Ich konnte es nicht fassen. Das war das Respektloseste, was ich je gehört hatte.
    »Klar. Wie heißt denn deine Mutter?«
    »Danuta.«
    »Klingt total bescheuert. Wie Hanuta.«
    »Meine Mutter hat mir erzählt, dass sie nach der Romanfigur eines großen polnischen Schriftstellers benannt wurde.«
    »Aha. Wie heißt der denn?«
    »Henryk Sienkiewicz. Der hat den Nobelpreis bekommen.«
    »Kenn ich nicht«, sagte Dominik so bestimmt, als wäre er stolz auf sein Unwissen. »Und du? Kennst du Rambo?«
    »Ja«, entgegnete ich.
    »He-Man?«
    »Klar.«
    »Knight Rider?«
    »Natürlich.«
    »Batman?«
    »M-hmm.«
    »Du bist gar nicht so doof, wie ich dachte«, stellte Dominik gönnerhaft fest. Dann wurde er für eine Weile stumm und überlegte. »Kann ich dich Sonntagnachmittag besuchen kommen?«
    »Da muss ich in die Kirche«, sagte ich wahrheitsgemäß.
    »Biste katholisch oder evangelisch?«
    »Evangelisch? Ich weiß nicht, was das ist«, gab ich zu.
    »Hä? Du kennst evangelisch nicht? Wie kann man das nicht kennen?«
    »In Polen gibt es nur katholisch«, erklärte ich.
    »Dann bist du also katholisch?«
    »Was denn sonst?«
    »Cool. Dann darfst du bald zur Kommunion. Ich bin evangelisch. Voll doof. Ich kriege die ganzen Geschenke erst, wenn ich 14 bin.«
    Nun betrat Oma mit einem dampfenden Pott kisiel das Zimmer. Die Zubereitung nahm nie viel Zeit in Anspruch. Man rührte das kisiel -Pulver in etwas kaltes Wasser ein und goss diese Mischung anschließend in kochendes Wasser. Einige Male umrühren, und der heiße kisiel konnte in Schüsseln gegossen werden. Er schmeckte fruchtig süß und war ganz weich. Schon nach ein paar Löffeln wurde einem ganz angenehm warm im Bauch. Als Dominik die Konsistenz des Desserts bemerkte, geriet er in helle Aufregung.
    »Boah, grüner Mutantenschleim!«, rief er und klatschte in die Hände wie ein erfreutes Kind. Seine Fantasie brachte mich zum Lachen. Der kisiel in den Schüsseln war grün, weil er Apfelgeschmack hatte.
    »Das ist das Coolste, was ich je gegessen habe«, sagte Dominik, nachdem wir unsere Schüsseln ausgelöffelt hatten. Seine Augen leuchteten. Auf einmal spürte ich so etwas wie Stolz.
    Als Mama und Papa mit ein paar Tüten Haribo, Erdnüssen, Salzstangen und Chips wiederkamen, war Dominik so satt, dass er jedes weitere Angebot ablehnte.
    »Ich muss heim«, sagte er. Papa nickte, und Mama reichte Dominik seine auf der Heizung trocken gewordene Kleidung. Vorher steckte sie ihm aber noch eine Tüte Gummibärchen in die Hosentasche.
    »Sag deinem Freund, dass wir ihm für seinen Besuch danken«, bat mich Mama.
    »Mach ich«, sagte ich und folgte Papa und Dominik ins Auto.

23.
Die Traumwohnung
    Nun, da Dominik wusste, wo ich wohnte, und in kisiel sein neues Leibgericht entdeckt hatte, kam er fast jeden Tag vorbei.

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