Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)
ich es erlaube. Kapiert?«
Ich nickte ehrfürchtig und folgte ihr durch die Tür.
Patrizias Zimmer war doppelt so groß wie das Zimmer, das wir uns zu viert in der Baracke geteilt hatten. Von der Decke hingen an unsichtbaren Schnüren Sonne, Mond und Sterne.
»Das ist meine Schlaf-Ecke«, sagte Patrizia und zeigte auf ihr riesiges Bett, über dem sich ein kleiner Baldachin wölbte. »Meine Hausaufgaben-Ecke«, erklärte sie ihren Schreibtisch, an dem statt eines Stuhls ein gehörnter Gummiball waberte. »Das da drüben ist die Sammel-Ecke.« Sie wies auf ein Regal von geringer Tiefe, das von Hunderten Kinderüberraschungsei-Figuren bevölkert wurde. »Und hier ist meine Lieblings-Ecke, die Barbie-Ecke«, schloss sie ihren kleinen Rundgang und ließ sich auf dem Platz nieder, wo vor einem spektakulären Puppenhaus mit kompletter Einrichtung ein ganzer Haufen voll Barbies, Barbie-Kleidung und allerlei Barbie-Zubehör lag.
»Wollen wir gleich spielen?«, fragte sie. Ich nickte begeistert und griff nach einer Barbie mit pinken Ohrringen, die ein modisches Jeans-Outfit trug.
»Nein, die Amerika-Barbie fasst du nicht an«, wies Patrizia mich zurecht und schlug mir die Puppe aus der Hand. Anschließend erklärte sie mir ausführlich, was ich anfassen durfte und was nicht. Mein Spielraum fiel größer aus, als ich vermutet hatte. Ich durfte mit allen Barbies spielen, die entweder verfilzte oder abgeschnittene Haare hatten, denen ein Arm oder ein Bein fehlte, und solchen, die in Wirklichkeit Petra hießen.
»Ich muss aufs Klo«, sagte Patrizia. »Fass bloß nichts an, während ich weg bin!«
Sobald sie aus der Tür war, begann ich alles zu befingern, was ich nur greifen konnte. Dabei fiel mir eine Puppe in die Hand, die über eine sonderbare Körperfunktion verfügte. Drehte man an ihrem Arm, wurde aus dem Loch in ihrem Kopf eine gekreppte Haarmasse an die Oberfläche geschleust. Patrizia besaß außerdem exzentrische Tiere mit prächtigen Mähnen, denen man mit einem Plastikschlüssel die Bauchdecke öffnen konnte, sowie den Schminkkopf, den ich zum ersten Mal im Quelle-Katalog gesehen hatte. Als ich mir das Puppenhaus genauer ansah, bemerkte ich, dass auch in Barbies Wohnzimmer ein »Aussiedler-Sarg« stand. Ihr Vitrinen-Schrank war zwar pink und aus Plastik, aber es entzückte mich, eine Gemeinsamkeit mit ihr zu haben.
Mittlerweile hatte ich einen riesigen Durst bekommen.
»Kann ich vielleicht etwas zu trinken haben?«, fragte ich vorsichtig, als Patrizia wiederkam.
»In der Küche«, sagte sie knapp. Da sie nichts weiter unternahm, begann ich, mich zu fragen, was sie mit »in der Küche« gemeint haben könnte. Sollte ich noch eine Weile warten, bis sie bereit war, mir etwas zu holen?
»Wieso gehst du nicht?«, fragte Patrizia. Nur langsam begriff ich, dass ich tatsächlich allein in die Küche gehen und mich selbst bedienen sollte. Auf Zehenspitzen schlich ich über den Flur, wie ein Dieb um mich blickend, und dachte mir aus, was ich sagen könnte, wenn Patrizias Mutter mich erwischte. Was sollte sie von einem Mädchen halten, das völlig allein in ihrem Haus herumlief und sich selbst Sachen aus den Schränken nahm?
Erleichtert stellte ich fest, dass ich allein in der Küche war. Es war eine schöne, altmodische Küche, wie aus der Zeit, in der Frauen lange Kleider und ausgefallene Hüte trugen. Vorsichtig öffnete ich den Schrank, hinter dessen undurchsichtigem Glas ich ineinandergestapelte Tassen und Gläser erspäht hatte. Auf einer der Tassen war Pumuckl abgebildet, den ich aus dem Fernsehen kannte. Ich mochte den Schreihals nicht besonders, aber die Tasse gefiel mir von allen am besten. Ich hatte sie gerade am Henkel gepackt, als plötzlich Patrizia vor mir stand und mich finster anfunkelte.
»Halt! Was soll das?«, herrschte sie mich an. Vor Schreck hätte ich die Tasse beinahe fallen gelassen.
»Was denn?«, fragte ich verdutzt. »Du hast doch selbst gesagt, dass ich –«
»Aus meiner Tasse darf niemand trinken außer mir selbst. Die hat mir meine Cousine mal zum Geburtstag geschenkt. Stellst du sie bitte sofort wieder zurück?«
»Das wusste ich nicht«, entschuldigte ich mich kleinlaut, bevor ich mir ein normales Glas herausnahm und es mit Leitungswasser füllte. Patrizia und ich gingen wieder zurück in ihr Zimmer.
»Ich hatte auch mal solche Kleider wie du« sagte sie, während sie mich geringschätzig musterte. »Allerdings war ich da fünf Jahre alt.«
»In Polen trägt man solche
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