Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)
Dokumentationen über Polen zusammen, die sie im Fernsehen sah.
»Immer wenn über Polen berichtet wird, zeigen sie irgendwelche Bauern auf dem Kartoffelfeld«, waren Mamas Worte. »Kein Wunder, dass die Deutschen so wenig von uns halten. Wir müssen ihnen beweisen, dass wir ein Kulturvolk sind und keine versoffenen Barfüßer.« Und damit man das unserer Behausung auch ansah, sollte bei uns nach und nach der Spärrmiel durch Neuanschaffungen ersetzt werden. Da meine Eltern aber nicht im Lotto gewonnen hatten, mussten sie andere Mittel und Wege finden, die Umgestaltung zu bezahlen.
Zunächst machte Mama im Aussiedler-Netzwerk das Prinzip der Neukundenanwerbung bekannt. Sich gegenseitig Abonnements aufzuschwatzen, um Prämien zu bekommen, wurde zu einem beliebten Denk- und Kombinier-Sport. Kaffeemaschine, Beistelltisch-Set, Deko-Vase, Edelstahltöpfe – in kürzester Zeit hatte Mama einen Teil des Hausrats als Prämien erworben. Nur sich selbst ließ sie nie ein Zeitschriften-Abonnement andrehen. Außerdem wurden die Prämiengeschäfte von strengen Sparmaßnahmen begleitet.
Einmal verkündete ich ganz bescheiden und freundlich: »Mama, ich brauche Geld fürs Kino.«
»Zehn Mark für einen Film – beklopft!«, schimpfte Mama in ihrem eigenwilligen Deutsch. »In drei Jahren kommt der Film im Fernsehen. So lange kannst du doch wohl noch warten.«
»Dann brauchen wir aber ein HÖRZU -Abo … Sonst weiß ich doch nicht, wann die Filme laufen.«
» HÖRZU ? Kannst du mir sagen, wofür du eine TV -Zeitschrift brauchst, wenn wir Videotext haben?«
»Aber da sind keine Kreuzworträtsel drin«, argumentierte ich verzweifelt.
»Wenn du Kreuzworträtsel machen willst, schau in die Papiertonne. Da liegen immer irgendwelche Zeitschriften von den Nachbarn rum.«
»Aber da sind doch alle Kreuzworträtsel schon gemacht.«
»Dann radierst du die Buchstaben eben aus.«
»Aber wenn sie mit Kugelschreiber gemacht sind!?«, heulte ich.
»Wer löst denn Kreuzworträtsel mit Kugelschreiber?«, entrüstete sich Mama, die keinen Stift wegschmiss, solange man ihm noch ein blasses Komma abringen konnte.
An Mamas Spar-Wahn hatten alle zu leiden, aber niemand so sehr wie mein Bruder und ich. Als die Kirmes in die Stadt kam und Tomek in die Geisterbahn wollte, musste er sich mit einem Trip in die Auto-Waschanlage zufriedengeben. Und wenn ich zu Hause vorwurfsvoll berichtete: »Patrizia hat eine Hose von Levis «, konterte Mama: »Und du hast eine Hose von Sonderangebot. «
Es wurde Winter, und mein zehnter Geburtstag stand vor der Tür. Mama wusste nicht, was dagegen sprechen könnte, meine Freundinnen einzuladen. Ich schämte mich zwar trotz einiger Verbesserungen noch immer für unsere ärmlichen Wohnverhältnisse, aber wenigstens nicht vor Anastasia. Sie wohnte selbst in einem Block, wo es im Treppenhaus roch, als hätte jemand Kohl im Hyänenkäfig gekocht. Was mich schließlich dazu bewegte, ein paar Einladungen zu basteln, waren meine Vorstellungen über die Geschenke. Weil ich auf dem Pausenhof aufmerksam die Gespräche der Kinder belauschte, wusste ich, dass es in Deutschland üblich war, den Leuten, die man zu seinem Geburtstag einlud, vorher mitzuteilen, was man sich wünschte. Und das bekam man dann. In Polen war das nicht so. Geschenk war gleichbedeutend mit Überraschung. Das gab den Schenkenden Gelegenheit, zum Beispiel eine Box vertrockneter Foto-Haft-Ecken loszuwerden. Aber sich selbst aussuchen können, was man gerade brauchte und begehrte? Dieses Konzept war für mich so neu wie fantastisch.
Die erste Freundin, die mich ansprach, nachdem ich die Einladungen verteilt hatte, war Melanie.
»Was wünschst du dir?«, fragte sie erwartungsgemäß. Ich nahm mir etwas Zeit, darüber nachzudenken. Dann sprudelte es aus mir heraus: Ich wollte ein Barbie-Wohnmobil, das Duftpüppchen Cherry Merry Muffin, ein PollyPocket-Kästchen, eine dieser Puppen, die man ins Badewasser warf, um ihr Geschlecht zu erfahren, ein paar Flummis mit Glitzerpartikeln sowie die Spiele »Kroko Doc«, »Traumtelefon« und »Das Nilpferd in der Achterbahn«. Melanie starrte mich mit flatternden Lidern an.
»Kannst du das alles noch mal sagen?« Diesmal schrieb sie mit. Ich mogelte noch einige Kleinigkeiten unter die bereits geäußerten Wünsche, um die Gunst der Stunde voll auszuschöpfen, und Melanie versprach, den Einkaufszettel umgehend ihrer Mutter zu überreichen. Genauso machte ich es mit Uta und Anastasia, nur dass ich ihnen andere
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