Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)
Kosenamen »Aussiedlersarg« verpasste. Wie die runden Schlafzimmerbetten mit barockem Fransenüberwurf und eingebautem Radio war dieses Stück unter Aussiedlern der letzte Schrei.
Sobald die Möbelpacker das Ungetüm hereingetragen hatten, stellte Mama das »Kinderlexikon A-Z«, »Deutsch für Anfänger«, » ADAC Reiseführer Deutschland« und »Das Örtliche« ins Regal. Es war nicht viel, aber doch genug, um anzudeuten, dass wir zu den Leuten gehörten, denen Bücher nicht fremd waren.
Seit wir eine Satellitenschüssel hatten, konnten wir uns endlich ausgiebig über die deutsche Kultur informieren. Die Werbung, die auf sogenannten Privatsendern lief, klärte mich zum Beispiel darüber auf, dass die durchschnittliche deutsche Familie in englischen Parks zu frühstücken pflegte und sich gern kleine Bären als Haustiere hielt, die darauf trainiert waren, aus urigen Kannen Milch einzuschenken. Die Knorr-Familie brachte mir das Konzept der Gemütlichkeit nahe, und der Melitta-Mann bewies mit seiner Existenz, dass es keine Katastrophe war, peinlich zu sein.
Was Mama in der Werbung am meisten erstaunte, war die Größe deutscher Badezimmer. Außerdem störte sie sich daran, dass Männer wie General Bergfrühling und Meister Propper für die Hausreinigung verantwortlich waren. Männer, die die Funktionsweise von Putzmitteln erklärten oder als altkluge Waschmittelvertreter an die Türen klopften, beleidigten die allwissende Hausfrau in jeder Polin.
Dank Omas Lebensphilosophie hatte Papa schon wenige Wochen nach dem Umzug eine Stelle als Elektrotechniker bekommen. Nun, da wir endlich eine Wohnung und Papa Arbeit hatte, konnte Oma gemäß ihrem Plan nach Polen zurückkehren.
»Willst du wirklich schon fahren?«, schluchzte Mama ergriffen, als wir mit Oma am Busbahnhof standen und Papa ihr Gepäck in den Reisebus lud.
»Stell dich nicht so an, Danuta«, erwiderte Oma. »Ihr kommt jetzt auch ohne mich zurecht. Aber wo du gerade heulst – fast hätte ich etwas Wichtiges vergessen.« Sie zog einen Stapel Stofftaschentücher aus ihrer Tasche, die sie während ihres Aufenthaltes eigenhändig bestickt hatte. Oma hatte schon in Polen immer gern Taschentücher mit unseren Vornamen verziert. Aber diesmal stand auf meinen nicht Ola, sondern Alexandra. Auf Papas nicht Paweł, sondern Paul. Tomek hieß jetzt Thomas und Mama Hannelore.
»Tut mir leid, ich kenne die deutsche Entsprechung für Danuta nicht«, sagte Oma, als sie ihr die Taschentücher überreichte. »Schreib mir einen Brief, wenn du es herausgefunden hast, dann mache ich dir neue.«
25.
Patrizia
Mein neuer Klassenlehrer hieß Herr Förster und hatte ein niedliches Dachsgesicht, in dem ein rundes, schwarzes Brillengestell saß. Als er mich der Klasse als neue Schülerin vorstellte, sprach er mit mir weder besonders laut noch besonders deutlich. Vielleicht hatte ich deshalb gleich das Gefühl, in der Klasse willkommen zu sein. Schon am ersten Schultag freundete ich mich mit drei Mädchen an. Melanie und Uta hatten asymmetrische Frisuren, weil sie sich ihr Taschengeld als Haarmodelle verdienten. Anastasia kam aus Griechenland, war rund wie ein Fässchen und saß in der Klasse neben mir. Seit die drei meine Freundinnen waren, ging ich wieder gern in die Schule. Mein Lieblingsfach war Musik. Herr Förster spielte Klavier, und wir mussten dazu aus einem roten Liederbuch singen. Ein Lied hieß »Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad« und schien eigens für Oma Greta geschrieben worden zu sein. Das einzige Fach, das ich nicht mochte, war Sachkunde. Jedes Thema führte mir vor Augen, dass ich von der Welt, in der ich lebte, keine Ahnung hatte. Ich fand heraus, dass »Heimat« der Ort war, wo ich die Namen aller Vögel und Bäume kannte.
»Du hast eine Verabredung fürs Wochenende!«, verkündete Papa, als er mit Mama vom sogenannten Eltern-Stammtisch wiederkam.
»Ja. Wir haben die Eltern deiner Freundin kennengelernt«, berichtete Mama stolz. »Wie hieß sie noch gleich?«
»Uta?«, versuchte ich zu erraten. »Anastasia?« Mit zugekniffenen Augen suchte Mama ihren Kopf nach dem richtigen Namen ab. »Melanie?«, half ich weiter.
»Patrizia Lindner«, las Papa aus seinem Notizbuch.
Ich sah meine Eltern erstaunt an. Zwar wusste ich, wer Patrizia war, aber ich war mir nicht sicher, ob sie wusste, wer ich war, denn bislang hatten wir kaum ein Wort miteinander gesprochen. Sie hatte etwas an sich, das mich instinktiv von ihr fernhielt. Mit ihren grünen Augen und
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