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Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)

Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)

Titel: Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Tobor
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braunen Korkenzieherlocken sah sie aus wie eine Prinzessin. Aber keine herzensgute, auf deren Schultern sich Vögelchen und Schmetterlinge niederlassen, sondern eine, die sich für etwas Besseres hält.
    »Ich kenne diese Patrizia kaum«, sagte ich irritiert. »Seid ihr sicher, dass ihre Eltern mich eingeladen haben?«
    »Ja. Sehr nette Leute«, entgegnete Mama. »Beide Lehrer am Gymnasium. Sie wollen, dass ihre Tochter auch mit Ausländern befreundet ist, damit sie dazulernen kann. Ist das nicht toll?«
    Ich atmete tief durch. »Und wann habe ich diese Verabredung?«
    »Am Samstag. Und du sollst deine Schlafsachen mitnehmen. Patrizias Eltern wollen, dass du bei ihnen übernachtest.«
    Zwei Tage später stand ich nachmittags um Punkt fünf vor der schneeweiß gestrichenen Tür eines großen Familienhauses und drückte auf die Klingel. Mama hatte darauf bestanden, dass ich mein chinesisches Kleid anziehe, um bei den Lindners den besten Eindruck zu hinterlassen. Mein Herz klopfte vor Aufregung. Ich war nicht nur mit einem Mädchen verabredet, das ich kaum kannte, es würde auch mein erster Besuch bei Deutschen sein.
    Die Tür wurde mir von Patrizias Mutter geöffnet.
    »Alexandra?«, fragte sie freundlich.
    »Guten Tag«, sagte ich leise und ließ mir ihren kräftigen Händedruck gefallen. Ich stand in einer hohen, schachmustergekachelten Diele, über die man ins Innere der Wohnung gelangte.
    »Patrizia telefoniert noch mit ihrer Freundin«, erklärte Frau Lindner, nachdem sie mich in ein großes, dunkles Wohnzimmer geführt hatte. In der Ecke stand ein schwarzes Klavier, alle Möbel waren aus gemasertem Holz, und es gab sogar einen Kamin, über dem ein Gemälde hing, das die meisten meiner Verwandten als »Kritzelei« bezeichnet hätten. Meine ganze Aufmerksamkeit wurde jedoch von einem Bücherregal gefesselt, das sich von Wand zu Wand und vom Boden bis an die Zimmerdecke erstreckte. Rücken an Rücken schmiegten sich Bücher mit ledernen Einbänden aneinander.
    »Patrizia ist bestimmt gleich fertig«, sagte Frau Lindner, die mit gefalteten Händen beobachtete, wie mein Blick fasziniert über die Buchtitel glitt.
    »Liest du gerne?«, fragte sie.
    »Ja, sehr gerne«, antwortete ich.
    »Das ist gut«, sagte Frau Lindner. »Vielleicht könntest du Patrizia dafür begeistern? Sie liest nämlich überhaupt nicht.«
    Stumm vor Verlegenheit nickte ich nur.
    »Alexandra?«, sprach Frau Lindner mich wieder an. »Es wäre schön, wenn du Patrizia ein bisschen von deiner Familie erzählen könntest. Wie ihr lebt, was ihr kocht und was sonst bei euch anders ist als bei uns.«
    Etwas Derartiges hatte ich noch nie von einer Mutter gehört.
    »Patrizia soll sich damit auseinandersetzen, dass nicht jeder so denkt und fühlt wie sie«, fügte Frau Lindner hinzu. »Wo bleibt sie nur? Ich gehe mal nach ihr schauen. Sieh dich ruhig bei uns um, Alexandra. Du darfst dir auch gern ein Buch rausnehmen, wenn es dich interessiert.«
    In diesem Moment wünschte ich, dass Patrizia noch stundenlang weitertelefonieren würde. Ich bemerkte, dass eine Etage des Regals nur für »Brockhaus« reserviert war. An der alphabetischen Anordnung der Bände erkannte ich, dass es sich um eine Enzyklopädie handelte. Mein tickender Finger zählte über zwanzig Bände. Nachdem ich den ersten Band herausgezogen und aufgeschlagen hatte, war ich so begierig, alles über Aale zu erfahren, dass ich gar nicht bemerkte, dass Patrizia ins Zimmer gekommen war und starr wie eine Mumie hinter mir stand.
    »Hallo«, sagte sie schroff. Als ich mich grüßend zu ihr drehte, zuckte sie nur mit den Mundwinkeln. Sie trug einen hellblauen Pullover mit weißen Punkten, und ihre Löckchen wurden von mehreren glitzernden Haarspangen im Zaum gehalten.
    »So, ihr lieben Mädchen«, sagte Frau Lindner, die Patrizia nachgetrippelt war. »Dann lass ich euch jetzt mal allein. Wenn ihr was braucht, ihr findet es im Kühlschrank. Alles klar?«
    Aber Patrizia machte keine Anstalten, mir etwas anzubieten, während sie mich am besagten Kühlschrank vorbei durch die Küche und in einen zweiten Flur hinüberführte. Dort lief ich über den weichsten aller Teppiche und erblickte einen kleinen Erker, hinter dessen Fenstern es paradiesisch wucherte. Patrizia machte vor einer Tür halt, über der in helles Holz gebrannt ihr Name stand.
    »Du wirst jetzt mein Zimmer betreten«, sagte sie mit wichtiger Miene. Zum ersten Mal fiel mir auf, dass sie lispelte. »Aber du darfst nichts anfassen. Nur wenn

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