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Skagboys 01

Skagboys 01

Titel: Skagboys 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irvine Welsh
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erleichtern, verstehst du? Es war, als würde ich ihm den Rücken abklopfen, um den Schleim in seiner Lunge zu lösen. Ich hab einfach Hand angelegt und es durchgezogen. Klein Davie ist durchgedreht und hat direkt nach ein paar Sekunden abgespritzt. Danach ist er friedlich eingeschlummert. Ich hatte ihn noch nie vorher so entspannt erlebt. Danach hab ich ihn sauber gemacht und in Ruhe schlafen lassen. Ich dachte mir einfach: »Was soll’s, is ja nix Schlimmes passiert«, verstehst du?
    — Wie ging’s dann weiter? Fiona löst sich aus ihrer verschlungenen Sitzposition und stellt die Tasse auf den Boden, ohne auch nur für eine Sekunde den Augenkontakt mit mir zu unterbrechen.
    — Er gewöhnte sich dran und erwartete es regelrecht. Autistische Kinder klammern sich an Routinen. Sie sind wie Uhrwerke: Sie essen jeden Tag zur gleichen Zeit, gehen jeden Abend zur gleichen Zeit schlafen. Die Sache entwickelte sich zu einer Art Freitagsbelohnung für ihn. Wenn er nicht all diese anderen körperlichen Probleme gehabt hätte, hätte er sich andauernd selbst befriedigt, Tag und Nacht. An den anderen Wochentagen starrte er wie gebannt auf die Mattscheibe, wenn die Nachrichten liefen. Dann glotzte er mich an und fing an zu schreien: MAY-HAY! MAY-HAY! Ich konnte ihn natürlich nicht erleichtern, da ja die anderen im Haus waren.
    Auf Fionas Gesicht liegt nun ein Ausdruck der Abscheu. Steif und mit gekreuzten Beinen sitzt sie im Sessel.
    — Alle dachten, er würde »Marky« rufen, und fanden das natürlich unglaublich süß. Nur er und ich wussten, dass er eigentlich nach »Mary« schrie, erkläre ich. Fiona ist mittlerweile so ruhig geworden, dass es mich nervös macht. — Denkst du, dass ich was Falsches gemacht habe?
    — Nein …, sagt sie zögernd. — Natürlich nicht, Liebster … es is nur … ähm … hättest du ihnen nicht von der Sache mit Davie erzählen können?
    — Meine Alten und ich haben dafür nicht die richtige Beziehung. Es sind meine Eltern , verstehst du?
    Fiona nickt nachdenklich, greift sich ihre Tasse und hält sie mit beiden Händen fest.
    — Nun, jedenfalls hab ich weitergemacht, hab ihm jeden Freitag einen runtergeholt, wenn Mary im Fernsehen die Nachrichten vorlas. Es war nicht immer leicht. Manchmal war er kurz davor zu kommen, als plötzlich für einen Vor-Ort-Bericht zu einem anderen Moderator geschaltet wurde. Verschwand Mary auch nur für ein paar Sekunden vom Bildschirm, klappte sein Ständer zusammen, und er fing an zu schreien. Manchmal bekam er dabei sogar richtige Hustenanfälle. Irgendwann waren wir so weit, dass ich richtig zupacken musste, um ihm Erleichterung zu verschaffen. Eines Tages hatte ich vergessen, dass Billy auf Urlaub von Belfast nach Hause kommen würde. Ich hörte nicht, wie er sich ins Haus geschlichen hatte. Das machte er manchmal, um unsere Ma zu überraschen. Jedenfalls tauchte er plötzlich hinter mir an der Couch auf … gerade als ich mit Klein Davie beschäftigt war und Mary wieder auf dem Bildschirm erschien …
    Fionas Augen weiten sich. — Also … ähm … dann hat er dich dabei erwischt, wie du deinen Bruder befriedigt hast?
    — Schlimmer noch. Just in diesem Moment ist Davie nämlich explodiert und hat eine anständige Ladung verschossen. Die flog wie eine Luftschlange in die Höhe und landete größtenteils in Billys Gesicht und auf seiner Armeeuniform.
    Fiona hält sich die Hand vor den Mund. — Mein Gott, Mark … was ist passiert?
    — Er riss mich von Klein Davie weg, warf mich vor der Couch zu Boden und trat mir in die Seite. Ich sprang sofort auf, und wir prügelten uns. Obwohl ich auch ein paar Treffer landete, hat er mich ganz schön vermöbelt. Davie brüllte wie am Spieß. Die Nachbarn hörten natürlich den Lärm. Irgendwann hämmerte Mrs. McGoldrick gegen die Tür und drohte, die Polizei zu holen. Das hat mir weitere Prügel von Billy erspart. Wir beruhigten uns wieder, aber als meine Eltern nach Hause kamen, merkten sie sofort, dass wir uns geschlagen hatten. Sie stellten uns zur Rede, und wir erzählten beide unsere Version der Geschichte.
    Draußen hat es angefangen zu regnen. Ich kann die Tropfen an der Fensterscheibe hören.
    — Was haben sie gesagt?
    — Sie haben sich mehr oder weniger auf seine Seite geschlagen und mich als einen durchgeknallten, widerwärtigen Spinner bezeichnet. Ich war damals noch nicht in der Lage, auszudrücken, was ich mit der ganzen Sache bezweckte, und konnte ihnen nicht klarmachen, dass auch Behinderte

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