Skagboys 01
dass sie mich in ihrer Welt akzeptieren würde, und im Grunde waren ihre Werte und Vorstellungen ja genau wie die meiner Eltern: ehrbar und anständig. Doch ich hasste diese Worte. Ich brauchte sie bloß zu hören, und meine Nackenhaare stellten sich auf.
Fiona ging mit den Kids in einen Buchladen. Ich versteckte mich in der angrenzenden Cafeteria, um sie beobachten und belauschen zu können. Sie beaufsichtigte die Gruppe zusammen mit einem anderen Typen, einem linkisch wirkenden Vierauge, der enthusiastisch bei der Sache war. — So, meine lieben Jungs und Mädels, jetzt legt ihr bitte euer Papier und die Stifte weg und kommt mit mir, ja?
Irgendwann würde sie mit so einem Kerl zusammenkommen. Wahrscheinlich würde es eine etwas coolere Version als Mr. Vierauge sein – ein Typ, der schon die eine oder andere Schnitte abgeschleppt hat, etwas arroganter ist und sie irgendwann verarschen wird –, aber im Grunde wäre er aus dem gleichen Holz geschnitzt. Ob mit coolem Anorak und Aschenbecherbrille oder Rugby-Trikot und Muskelbergen – hinter der Fassade sind sie alle gleich: kleinkarierte Spießbürger.
Ich gehe heim und warte auf Fiona. Als sie nach Hause kommt, bin ich noch wach. Ihr Haar ist nass vom Regen. Sie trocknet es mit einem Handtuch ab, das sie in ihrem Rucksack mitgebracht hat. Da ich außer zwei Lemsips nichts weiter zu mir genommen hab, mache ich uns heiße Schokolade.
Fiona weiß, dass ich was für nasse Haare übrighabe, und schaut verstohlen zum Bett rüber. Sie kapiert aber schnell, dass ich es in meinem Zustand nicht fertigbringe, sie zu packen und mich mit ihr auf der Matratze zu wälzen. — Du zitterst ja, Süßer. Vielleicht solltest du doch mal zum Arzt gehen …
— Kann ich dir was erzählen?
— Natürlich, Mark, was ist los?, sagt sie mit weiten Pupillen, und ich weiß sofort, dass ich ihr nicht das sagen kann, was ich ihr eigentlich sagen wollte. Um diese Tatsache zu überspielen, muss ich ihr jetzt aber etwas ebenso Wichtiges und Tiefgründiges erzählen.
— Mein kleiner Bruder …, höre ich mich sagen und bin selbst über die Themenwahl erstaunt. Es kommt mir fast so vor, als hätte mich jemand angeschissen, und ich müsste jetzt beichten. — Ich hab das noch nie jemandem erzählt …
Sie nickt und schlägt ihre nassen Haare dabei in ein Handtuch ein. Als sie die dampfende Tasse greift, sieht sie ein bisschen aus wie dieses Mädchen aus der Nescafé-Werbung.
Ich räuspere mich, und sie pflanzt sich im Schneidersitz in den Sessel. — Ich hatte irgendwie mitbekommen, dass Klein Davie auf Mary Marquis abfuhr. Das ist die Nachrichtensprecherin bei den schottischen News im Fernsehen, weißt du? Du hast sie bestimmt schon mal gesehen. Sie hat so einen … ich schätze, man würde wohl »italienischen Look« sagen. Dunkler Teint, jede Menge Make-up, stark betonte Augen und knallroter Lippenstift.
— Ich glaube, ich weiß, wen du meinst. Die von den Abendnachrichten?
— Aye, das isse. Ich hab gemerkt, dass es Davie erregte, wenn sie auf der Mattscheibe erschien und die Nachrichten vorlas. Seine Atemzüge wurden dann mit einem Mal tiefer, und was in seiner Trainingshose ablief, war auch nicht zu übersehen …
Fiona nickt verständnisvoll. Auf ihrer Jeans ist ein roter Fleck in Kniehöhe. Wahrscheinlich Farbe von einem Workshop mit den Kids.
— Ich musste an den Freitagnachmittagen auf ihn aufpassen. Wenn zur Teezeit die schottischen Nachrichten im Fernsehen kamen, starrte Klein Davie voll konzentriert auf den Bildschirm und hatte einen unübersehbaren Ständer in der Hose. Ich dachte darüber nach, weißt du? Ich meine, der arme Hund war gerade fünfzehn … verstehst du, was ich meine?
— Ja, meint Fiona traurig und zugleich analytisch. — Er hatte eine Sexualität, aber keine Möglichkeit, sie auszuleben.
— Ganz genau! Erleichtert atme ich aus. Endlich versteht jemand, worum es mir geht. — Also … habe ich beschlossen, ihm einen runterzuholen.
Fiona senkt ihren Blick kurz zum Boden und schaut mir dann wieder ins Gesicht. Die Lippen zusammengepresst, sagt sie mir weder, dass ich weitererzählen, noch dass ich aufhören soll.
Ich atme tief ein. — Das hab ich dann auch gemacht. Es schien ihn zu entspannen.
— O Mark …
— Ich weiß, ich weiß … wir reden hier von meinem Bruder, und da ist so eine sexuelle Sache nicht die schlaueste Idee. Das hab ich mittlerweile auch kapiert. Damals dachte ich allerdings nur daran, ihm in seiner Notlage zu helfen, ihn zu
Weitere Kostenlose Bücher