Skagboys 01
Das weißte doch. Geh schon ma vor und schmeiß den Kamin an. Ich komm später rum. Muss erst noch runter zur South Side, meine Ma besuchen, sagt Sick Boy, als Spud mit seinen dreckigen Fingern nach den Schlüsseln greift und dabei bis zur letzten Sekunde fürchtet, dass Sick Boy sie wieder wegziehen könnte.
— Ey, danke, Catboy … du bist echt einer der Besten, Mann, sagt er und atmet erleichtert aus.
Man muss seinen Kumpels helfen, denkt sich Sick Boy, wobei ihm ein wohltuender Schauer der Tugendhaftigkeit den Rücken hinunterläuft. Als er sich auf den Weg macht, den Walk runter Richtung Süden, überdenkt er seine Strategie. Zuerst wird er seine Mutter und seine Schwestern anpumpen, um bei Johnny Swan vorbeizuschauen und Stoff zu besorgen. Danach geht’s zurück zum Hafen, Kunden für Maria suchen. Er dreht sich noch einmal zu seinem Kumpel Spud um, der zur Constitution Street hinaufschlurft. Könnte gut sein, dass er auf dem Weg zur St. Mary’s Star of the Sea ist, um eine Kerze für seinen barmherzigen Freund Si anzuzünden und den lieben Herrgott um ein bisschen Skag zu bitten. Vielleicht läuft er dabei sogar Cathy Renton über den Weg, die in diesem Gotteshaus oft stundenlang ihre nikotingelben Finger im Weihwasserbecken badet.
Sick Boy hat gerade noch genug Kleingeld, um das Busticket bis runter zu den Bridges zu zahlen, wo seine Mutter jetzt wohnt. Als er ihre Wohnung betritt, fühlt er, wie etwas in seinem Innersten abstirbt: Denn in dem alten Sessel seines Vaters sitzt … sein Vater! Als wäre er niemals weggewesen, hockt Williamson senior phlegmatisch vor der Glotze und zieht sich eine Krimiserie rein. Sick Boys Mutter begrüßt ihren Sohn mit einem breiten, zufriedenen Lächeln.
— Tolle Bude, was?, grinst Davy Williamson seinen Sohn an.
— Du hast ihn wieder aufgenommen …, sagt Sick Boy fassungslos zu seiner Mutter. — Ich kapier es einfach nich, Ma. Er starrt sie vorwurfsvoll an, reizt den anklagenden Blick des einzigen Sohnes voll aus. — Du hast ihn echt wieder aufgenommen. Warum? Warum hast du das nur getan?!
Sie antwortet nicht, bringt kein Wort über die Lippen. Sein Vater imitiert derweil einen Geigenspieler und setzt dazu einen gekünstelten Klageblick auf. — Hör auf zu heulen, Jungchen, und find dich damit ab.
— Simon, ähm, ich un deine Vater …, beginnt seine Mutter stockend mit einer Erklärung, aber ihr Ehemann unterbricht sie sogleich.
— Pst, Sweetheart, sagt Davy Williamson und legt den Zeigefinger auf die Lippen. Nachdem er seine Frau zum Schweigen gebracht hat, wendet er sich seinem Sohn zu. — Haltse raus, Junge!, sagt er mit selbstsicherer Stimme zu ihm und tippt sich an die Nase, einen imposanten, von geplatzten Äderchen durchzogenen Zinken. — Halt deine verdammte Nase raus!
Wie angewurzelt steht Sick Boy da und ballt die Fäuste. — Du verdammter …
In einer schwulstigen und gleichzeitig geringschätzigen Geste streckt Davy Williamson langsam seine Arme aus und hält die Handflächen nach oben. — Ich misch mich nich in dein Leben ein, also halt dich gefälligst auch aus meim raus, sagt er mit einem selbstzufriedenen Lächeln und hält dann den Kopf schräg, um eine Grimasse zu ziehen. Seine Mutter schaut die beiden verwirrt an, und Sick Boy stößt ein ungewolltes Keuchen hervor. Der Wichser weiß Bescheid! — Na, das gefällt dir wohl gar nich, was?, legt sein Vater grinsend nach. — Denk einfach dran, Jungchen: Halt deine Nase aus meinen Angelegenheiten raus!
— Was hat dase alle zu bedeuten …?, will seine Mutter wissen.
— Nichts, mein Liebling, überhaupt nichts, beschwichtigt Davy Williamson sie in gespielt förmlichem Tonfall. Einmal mehr hat er die volle Kontrolle über seine Familie übernommen. Er fixiert Sick Boy mit einem netten Grinsen und fügt hinzu: — Ist es nicht so, Bambino?
— Ach, verpiss dich doch, schreit ihn Sick Boy an. Dabei ist er derjenige, der geht. Das hilflose Wehklagen seiner Mutter und das hämische Lachen seines Vaters bilden den Soundtrack zu seinem Abgang auf die South Clerk Street.
Er ist verwirrt und ratlos, als er mit gesenktem Kopf die South und die North Bridge Street hochläuft. Nach wie vor pleite, weiß er nicht so recht, ob er zu seiner Wohnung in die Montgomery Street zu Spud gehen oder direkt nach Leith zu Maria durchlaufen soll. Letzteres! Zu Maria. Er wird zu Maria nach Hause gehen, mit ihr ins Bett steigen und sie halten, sie beschützen und lieben. So wie er es die gesamte Zeit
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