Skagboys 01
in den die Andersons nun gestürzt waren. Einst von allerlei Ambivalenzen bestimmt, hatten sich Janeys Gefühle für ihren verstorbenen Ehemann auf brennenden Hass reduziert.
Als Sick Boy ihre Tochter erneut berührt und dieses Mal seine Hand auf ihren Oberschenkel legt, schwant Janey der besitzergreifende und intime Charakter dieser »Beziehung«. — So eigenartig das auch für dich klingen mag, Janey, aber ich liebe dieses Mädchen, und ich werde auf sie aufpassen, solange du hier drinnen bist, erklärt er.
Janey starrt ihn wütend an, stürzt sich aber auf ihre Tochter: — Schau dich doch mal an! Du siehst schrecklich aus.
Durch die Bluse hindurch kratzt Maria die juckenden Stellen an ihren Armen. — Die Grippe hat uns erwischt …
— Aye, es gab ein paar schlaflose Nächte, schneidet ihr Sick Boy das Wort ab. — Aber jetzt sind wir wieder okay, stimmt’s nicht, Babe?
— Stimmt. Ehrlich jetzt, Ma!, unterstützt ihn Maria.
Obwohl sie alles andere als überzeugt ist, dämmert Janey, dass es nichts bringt, ihre Tochter noch weiter von sich zu stoßen oder sie von der, leider Gottes, einzigen Person zu isolieren, die ihr noch Schutz bieten kann. Außerdem wacht die Kampflesbenschließerin weiterhin über ihr Gespräch. Ihre Erzfeindin in Uniform hat sich mittlerweile von Folletts Die Nadel losreißen können und spaziert langsam die Tischreihen entlang. Wie der Lautstärkeregler einer Hi-Fi-Anlage senkt sie Intensität und Volumen der Gespräche an den Tischen, an denen sie vorbeigeht. Als sie auf der anderen Seite des Raums an den Türen angekommen ist, verschränkt sie ihre fleischigen Arme über dieser übergangslosen Bauch-und-Busen-Kombi, die sie vor sich herschiebt.
Der letzte Teil dieses fürchterlichen Besuchs ist ein stelzfüßiger Austausch von Nichtigkeiten. Beide Seiten sehnen das Ende herbei: Janey, um mit ihrem Bruder in Nottingham zu telefonieren – Sick Boy und Maria, um sich Dope zu besorgen. Alle sind erleichtert, als die Besuchszeit zu Ende geht.
— Wir müssen uns an die Arbeit machen, und zwar zack, zack, zack!, sagt Sick Boy zu Maria, als sie durch das Gefängnistor treten und im Nieselregen ins Stadtzentrum eilen, um den Zug von Stirling nach Waverley zu erwischen. Von der Waverley Station fahren sie mit einem Bus weiter zum Anfang der Easter Road und nehmen eine Abkürzung durch den Leith Links Park. Sie zittern, denn ein starker Wind schlägt ihnen entgegen und deckt sie mit stechendem Regen ein. Trotz der unbehaglichen Situation glaubt Sick Boy in Marias Gesicht eine Mischung aus Nostalgie und Verwunderung zu entdecken. Es wirkt fast so, als würde dieser ausgelatschte und aufgeweichte Weg im Park Erinnerungen an das Ende des Schuljahres in ihr wachrufen und Gedanken an die unschuldigen Sommer ihrer Mädchentage heraufbeschwören: Wie sie sich auf dem Gras tummelt, der Kopf schwer von der Hitze, dazu die schläfrigen, leeren Straßen, das Gequake der Radios vorbeifahrender Autos, der intensive Dieselgeruch, die Trinkerei ihres deprimierten Vaters, die raue Stimme ihrer Mutter, die vom Balkon herunterschallt, und die pulverige Abenddämmerung, die so langsam abläuft, dass man sich vom Verschwinden des Lichts regelrecht betrogen fühlt.
All das verschwand, als sich ihre Brüste und Hüften entwickelten und plötzlich neue, aber viel gefährlichere Spiele auf dem Programm standen. Als geringschätzige Mienen und reservierte Posen aufgefahren wurden, die aber nur einen mäßig effektiven Schutzwall gegen die beharrlichen Annäherungsversuche allzu entschlossener Jungs darstellten.
Er bereut seine Rolle in der Serie unglückseliger Tragödien, die sie in jüngster Zeit heimgesucht hatten, beruhigt sich aber mit dem Gedanken, dass sie in den Fängen eines weitaus weniger fürsorglichen Raubtiers gelandet wäre, wenn er sie nicht übernommen hätte.
È la via del mondo.
Ergriffen von einer Mischung aus Euphorie und Panik, fingert Sick Boy in der Tasche seiner Jeanshose herum. Es ist doch kein Traum gewesen! Die Zehner, die er neulich von Marianne ergattert hat, sind immer noch da. Er kann sie fühlen. Mit großen Augen hatte Marianne ihm die Tür aufgemacht. Ohne ein Wort der Begrüßung war er auf sie zugegangen und hatte sie mit einem intensiven Kuss zum Schweigen gebracht. Als sie den Kuss mit geschlossenen Augen erwiderte, linste er durch die offene Schlafzimmertür, wo er ihre Handtasche auf dem Bett entdeckte. Unter weiteren Küssen schob er sie in Richtung des Betts und
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