Skagboys 01
als Fan vom Heart of Midlothian Football Club, sprich: als Jambo, hat es Keezbo manchmal doppelt schwer. Kaum sind wir aus Edinburgh raus, will der Dicke, dass wir irgendwo anhalten, damit er sich ein paar Fritten holen kann. Typisch. — Ich verhungere hier hinten, Mr. Tommy …
— Auf keinen Fall, Alter. Wir halten erst in Blackpool. Ich will nämlich unbedingt noch das Spiel in der Glotze sehen.
Keezbo greift zwei seiner Bauchfettfalten und presst sie zusammen. — Wenn ich nichts esse, schrumpfe ich ruckzuck zu einem Nichts zusammen. Erklär du es ihm, Mr. Mark, bittet er mich mit einem bettelnden Gesichtsausdruck, wobei sich seine roten Augenbrauen über die Ränder seiner dicken, schwarzen Brille erheben.
— Keezbo sieht echt ziemlich unterernährt aus, Tam. Jetzt gib dir nen Ruck, Mensch. Hast doch sogar schon für die Biafra- Hungerhilfe gespendet, sage ich. Dann ahme ich die Stimme meiner rassistischen Nachbarin, Mrs. Curran, aus den Fort Flats nach: — Immer diese Spenden für Afrika. Wir solltn uns zuerst ma um unser eigenes Volk kümmern!
— Okay, okay, okay, aber erst an der Raste in Kendal, lenkt Tommy ein und fährt sich mit der Hand durch das Chaos auf seinem Kopf, diesen Fußballtrottel-trifft-Rod-Stewart-Schnitt.
— Was is eigentlich mit deim Finger passiert?, fragt er mich.
— Handmeißel. Der Chef lässt uns den ganzen Tag nur bescheuerte Bretter zusammenkloppen, sodass ich überhaupt kein Gefühl mehr für richtige Schreinerarbeiten hab. Da passiert so was eben, antworte ich. Keezbo nörgelt derweil in einer Tour leise vor sich hin. — Junge, Junge, jetzt reiß dich ma zu samm! Wirst es schon noch ein bisschen aushalten, oder?!, meine ich zu ihm.
— Ich verbrenne hier Fett ohne Ende, Mr. Mark. Weiß echt nich, ob ich bis Kendal durchhalte, antwortet er. — Wenn Mr. Rab mir mal öfter den Wodka rüberreichen würde, müsste ich sicherlich nicht dauernd an Essen denken …
— Hmmm …, brummt Second Prize widerwillig, aber Keezbo fährt seine plumpe Pfote aus und schnappt sich den Smirnoff. Obwohl der Typ aussieht wie eine auf die Seite gelegte und von innen nach außen gekrempelte Kokosnuss – breiter als hoch und bleich wie n Leichentuch –, is Keezbo neben Tommy der beste Tänzer in unserer Gang. Ich selbst stehe meist nur wie ein Trottel am Rand der Tanzfläche rum und wünsche mir, auch so gut tanzen zu können. Irgendwann entfaltet das Speed aber seine Wirkung, und dann wünsche ich mir, dass ich wieder aufhören könnte. Einmal is es im Casino mit mir durchgegangen, hab n Salto versucht und mir dabei den Rücken verdreht. Und natürlich hat der Bulle am Montag genau diese Stelle mit seinem Schlagstock erwischt. Verdammter Wichser! Sitzt wahrscheinlich zu Hause in seiner Einfamilienbuchte – ohne Frage eine dieser Schrottbuden von Barratt Homes –, glotzt Fernsehen mit seiner frigiden Alten und einem Haufen undankbarer Gören und hat keine Ahnung, dass er dem jungen Renton den Tanzabend versaut hat. Fick sei Dank gibt es Paracetamol. Auch wenn Keezbo ein ziemlich aufgeblähter Typ is, tanztechnisch hat er ganz schön was aufm Kasten. Liegt wahrscheinlich dran, dass er Schlagzeug spielt und den Rhythmus im Blut hat. Klar, er is zu fett für Saltos, Drehungen und solche Späße, aber wenn er erst mal aufm Dancefloor loslegt, zieht er alle Blicke auf sich, diese speckige, rothaarige Sexmaschine.
Als wir endlich in Blackpool ankommen, stellen wir zuerst die Karre ab. Der Geruch von Frittierfett und Diesel mischt sich mit der Seeluft und erinnert mich an lang zurückliegende Septemberwochenenden. Ich denke daran, wie ich früher öfter mit Ma, Dad, Billy, dem kleinen Davie und Oma und Opa Renton nach Blackpool gefahren bin … ich, der gehemmte, ungelenke Junge, auf einem ziemlich fertigen Esel, während Davie in seinem Rollstuhl sitzt und, von Oma geschoben, an mir vorbeibraust. Alle schreien wie verrückt: » ER IST SCHNELLER, MARK! ER IST SCHNELLER ALS DU, MARK! «
Nach dieser Niederlage rammte ich dem stoischen Vieh die Hacken in die Rippen, um im Galopp in die Irische See zu reiten und diesem demütigenden Augenblick zu entkommen. Aber der Esel wollte sich partout nicht bewegen. Die anschließende Scham war so groß, dass ich mich in den verbleibenden Urlaubstagen wieder und wieder von den anderen wegschlich. Meist floh ich ins Kino, wo ich mir (sechs Mal!) ganz allein den Musicalfilm Oliver ansah. »Unmöglich, dass du dir das schon wieder ansehen willst, Junge. Dabei
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