Skagboys 01
peitschen auf die Porenbetonsteine der flachen Hafen- und Werftgebäude nieder. Sie pfeifen über das Deck der Fähre und zischen durch alle Ritzen des Schiffes. Auf dem unebenen Steinboden der Docks bilden sich große Pfützen, während einsame Figuren gegen den Wind ankämpfen und schwere Taue an den Pollern festzurren oder einfach nur mit Clipboards in der Hand von einem Gebäude zum nächsten hasten. Charlenes wildes Haar wird vom Wind hin und her geweht. Nur mit T-Shirts und Jogginghosen bekleidet, stehen wir an der Reling und spielen unser Spiel: Wer es am längsten in der Kälte aushält, hat gewonnen. Spätestens wenn man das Gefühl hat, dass einem die Glieder erfrieren, schreit einer von uns » ICH GEBE AUF! «. Das ist dann das Signal für den Rückzug. Im Krebsgang stürzen wir die schmalen Eisentreppen hinab in den faulenden Rumpf der Fähre zu unserem verwahrlosten, aber warmen Nest, wo wir uns aneinanderkuscheln und auf einen neuen Ritt vorbereiten.
Wieder eine Schicht überlebt. Wieder nach Amsterdam. In einen Schuppen namens Grasshopper, um genau zu sein. Außer Sick Boy und mir ist auch Charlene dabei, die gerade mit zwei kettenrauchenden Schnitten aus Liverpool – selbstverständlich Fahrgäste der Freedom of Choice – eine Runde Billard spielt. Nicksy kommt in den Laden und schaut drein wie ein verängstigter Schuljunge. Hinter ihm: ein aufgekratzter Marriott mit nervösen Glupschaugen. Als er die Mädchen sieht, scheint er ganz und gar nicht erfreut und nickt Richtung Tür. Sick Boy und ich schauen uns an. Wir entschuldigen uns bei den Ladys und folgen Nicksy und Marriott nach draußen zu einem betriebsamen Café auf der anderen Seite des Platzes, wo wir uns einen Tisch suchen. Eine Kellnerin kommt, und wir bestellen ein paar Kaffees.
— Heute Nacht geht’s los, sagt Marriott. — Jeder von uns nimmt zehn Gramm mit durch den Zoll.
Ich will gerade »Auf keinen Fall!« antworten, aber Sick Boy kommt mir zuvor. — Sorry, alter Seebär. Nettes Angebot, aber ich fürchte, dass ich dieses Mal ablehnen muss.
— Was?! Du … du musst ablehnen?! Das solln Witz sein, oder?! Ich hab den Scheißstoff schon dabei! Er deutet auf die Sealink-Tasche zu seinen Füßen, zieht den Reißverschluss auf und zeigt uns die Pakete.
— Wie ich schon sagte, Kollege, ich würde dir gern helfen, aber dieses Mal sehe ich mich leider gezwungen, abzusagen.
— Du verdammter Flachwichser! Und was soll ich jetzt mit dem Scheißzeug anfangen? Seine untertassengroßen Glupschaugen starren auf zwei Rucksacktouris, die am Nachbartisch sitzen und durch unsere laute Unterhaltung auf uns aufmerksam geworden sind. Einer der beiden hat einen Aufnäher mit Kanadaflagge auf seinem Backpack und ist bemüht, nicht in unsere Richtung zu schauen. Typisch, eigentlich! In Schottland haben wir vor vielen Generationen angefangen, alle Antialkoholiker nach Kanada zu exportieren. Das Resultat: In Ahornblatt-Country gibt’s nur langweilige Mittelklasseidioten, in Schottland nur drogengeile Unterschichtenassis.
— Nich mein Problem, sagt Sick Boy kaltschnäuzig.
Marriott schaut mich panisch an. — Ihr werdet mich ja wohl nich alle hängen lassen, oder?
— Jetzt, wo du so direkt fragst: Aye, ich fürchte schon, antworte ich und sehe zu, wie seine Kinnlade auf das Straßenpflaster kracht. Der Kerl sieht so aus, als wüsste er nicht recht, ob er mir in die Fresse schlagen oder auf der Stelle losheulen soll. — Sorry, Kumpel, is nix Persönliches, lüge ich. — Aber ich hab irgendwie das Gefühl, als würdest du diese Sache ohne Rücksicht auf Verluste durchpeitschen wollen. Ich hab mir das mal durchgerechnet: wie viel Gramm, wie viel Jahre Knast, wie viel Belohnung. Das passt hinten und vorne nich.
— Niemand kommt in den verfickten Knast, krächzt er frustriert. — Ich hab euch doch von meinen Kontakten beim Zoll erzählt! Die Kiste is absolut wasserdicht!
— Absolut wasserdicht, wie? Dann sollte es ja kein Problem für dich darstellen, ein paar motivierte Mitarbeiter zu finden, die diese einmalige Geschäftsmöglichkeit ergreifen wollen und dich tatkräftig bei deinen Unternehmungen unterstützen werden, sage ich. Als ich Sick Boys breites Grinsen sehe, macht mir die Sache langsam richtig Spaß.
Marriott beginnt zu hyperventilieren und wendet sich wütend zu Nicksy. — Du hast gesagt, dass die Kerle zuverlässig wärn, du Wichser …
Nicksy wird puterrot. — Wen nennst du hier einen Wichser?! Er springt auf und beugt sich
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