Skagboys 01
Seite, denn Sick Boy hatte sich abgemeldet. Wahrscheinlich wollte er sich mit Lucinda oder Andreas treffen, bei denen er ohnehin den Großteil seiner Nächte zu verbringen schien. So hatten die zwei die Matratze im Gästezimmer für sich allein.
Nachdem ein wenig Morgenliebe ihre Körper erwärmt hat, sagt Charlene zu ihm: — Ich bin froh, dass du nicht wieder auf die bescheuerte Fähre gehst. Ich weiß, was ihr vorhattet … die Sache mit diesem Vogel Marriott und so. Alle haben davon erzählt.
— Was?! Renton ist einerseits entsetzt, andererseits aber nun noch erleichterter, dass sie sich vom Acker gemacht haben. Ihm wird klar, dass sie bei der Planung ihrer Schmuggelei nicht sonderlich diskret vorgegangen sind. Noch krasser allerdings erscheint ihm, dass offensichtlich niemand an Bord ein Problem mit ihrem Treiben hatte … aber das würde sich sicherlich bald ändern, schließlich lebten sie in der Epoche der Denunzianten, Streikbrecher und Spitzel.
— Lass den Scheiß lieber sein, rät Charlene, den Kopf auf ihren Arm gestützt. Ihre verhärmten Züge in der Morgensonne, deren schwache Strahlen sich durch die Bastrollos kämpfen, lassen in Renton zum ersten Mal den Gedanken aufkommen, dass sie trotz ihrer kindlichen Stupsnase und ihres elfenhaften Äußeren vielleicht älter sein könnte als er selbst. — Wenn sie dich wegen so einer Sache festnehmen, wirst du dafür richtig lange in den Bau gehen. Glaub mir, Mark, ich hab eine Nase für Linkereien, die schiefgehen. Letzte Woche erst hat Benson einen Haufen Leute von einer Sicherheitsfirma an Bord gebracht.
— Da ging’s doch aber nur um die Maßnahmen bei gewalttätigen Ausschreitungen. Das war wegen der Prügelei mit den Fußballfans.
Charlenes Augen verengen sich weiter. — Glaubst du wirklich, dass es nur darum ging, du Doofie?
Er weiß, dass es nicht nur darum ging, und ahnt, was gerade bei Sealink passiert. Trotzdem will er sie in dem Glauben lassen, dass er in erster Linie wegen Marriotts Rachegelüsten und der Schlägereien das Handtuch bei Sealink geworfen hat. Charlene soll nicht mitkriegen, dass er nicht ohne sie auf die Fähre zurückkehrt. Er weiß nicht, was sie nun, nachdem Sealink keine Option mehr darstellt, mittel- und langfristig gesehen tun wird. Ihre unmittelbaren Pläne hingegen sind nicht schwer zu erraten, als sie ihm sagt, dass er sich für einen Ausflug ins West End fertig machen soll.
Charlene putzt sich heraus und bändigt ihre blonde Mähne in einem Pferdeschwanz. Über ihren Ohren lässt sie beidseitig eine lockige Strähne herunterhängen, die sie mit Haarspray fixiert. Auf ihre Aufforderung hin hat Renton sich den dunkelblauen Anzug aus der Leith-Provident-Konsumgenossenschaft angezogen, der sonst nur bei Hochzeiten oder Beerdigungen zum Einsatz kommt. Während er in der Carnaby Street sitzt und auf sie wartet, stiehlt sie ihm ein Paar schwarze Lederschuhe und ein hellblaues Seidenhemd samt dazu passendem Schlips – eine Geste, die ihm vor Dankbarkeit fast die Tränen in die Augen treibt. Renton ist zutiefst beeindruckt von Charlenes Professionalität. Die mit Alufolie ausstaffierte Sealink-Tasche, mit der sie problemlos jede Diebstahlsicherung an den Kaufhaustüren passiert, fasziniert ihn ganz besonders. In einer Seitengasse tauscht er die alten Turnschuhe und das T-Shirt gegen das Diebesgut aus und tritt danach blinzelnd in das Licht der Einkaufsstraße und den Strom der Konsumwütigen. — Jetzt können wir loslegen, sagt sie und zupft dabei seinen Schlips gerade, als wäre heute sein erster Schultag. Sie gehen in das John-Lewis-Kaufhaus in der Oxford Street und schlagen kräftig zu. Renton lässt auch einen Pullover von Fred Perry für den Eigenbedarf mitgehen. Auf der Toilette raucht er ein bisschen Braunes, genehmigt sich eine Prise Base-Speed und begutachtet die Beutestücke. Er sitzt eine halbe Ewigkeit auf dem Klo und lässt die verschiedenen Dämpfe über das kleine Fenster abziehen. Irgendwann steht er auf und geht mit tiefenentspannter Körperhaltung raus. Doch dann schiebt er Panik, dass Charlene abhauen musste oder sogar hochgenommen wurde. Als er aber ihr spitzbübisches Lächeln erblickt, lockern sich seine angespannten Züge. Arm in Arm und berauscht von ihrem Erfolg, marschieren sie aus dem Kaufhaus.
Sie knutschen und fummeln den ganzen Weg bis zur Highbury & Islington Station. Renton schluckt dabei den Schleim aus seinen oberen Atemwegen hinunter, um Charlene nicht damit vollzusabbern. Seine
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