Skagboys 01
Wie denn?
— Wie ein allein gelassenes Robbenbaby auf dem Eis, dem gleich der Schädel zu Brei gedroschen wird!
Das steife Lächeln auf Rentons Mund kriecht langsam in seine Augen. — Ich hab nich gemerkt, dass ich … ähm, sorry. Es ist nur so, dass du eine echt coole Perle bist …, sagt er und schüttelt zärtlich den Kopf. — Allein die Sache mit der Folie in der Tasche … genial!
Charlene schaut ihn an. Dann setzt sie sich auf die Couch und denkt an Charlie, der im berüchtigten Londoner Männerknast »The Scrubs« einsitzt – an seine zwei ausgeschlagenen Vorderzähne und das dadurch bedingte Trottellächeln, das sie so abartig liebt. Beide stammen sie aus den Medway-Städten. Rochester und Chatham. Schon seit Kindesalter sind sie ein Paar. Ja, sie liebt Charlie. Mark ist zwar besser im Bett, doch bei seinem Heroinkonsum wird das nicht lange anhalten. Aber sie mag ihn. — Du bist der erste Typ, der nicht dauernd wegen meiner Haare rumwundert. Das geht mir nämlich mächtig auf die Nerven, meint sie wenig überzeugend.
Renton zuckt unschlüssig mit den Schultern. — Dein Haar ist wirklich toll, aber manchmal denke ich, dass es kürzer noch besser aussieht. Dann würde es deine wunderschönen Augen mehr betonen, sagt er mit lang gedehnten Worten. Er spürt ein mulmiges Gefühl in seinem Inneren aufkommen – ein dumpfes Pochen, das ihn an Skag denken lässt.
Charlene lächelt ihn an und fragt sich, ob er sie gerade veralbert. Der ernste Blick in seinen Augen sieht nicht danach aus. Sie liebt Charlie, weiß aber auch, dass das Gefängnis ihm nicht gutgetan haben wird und sie das tatsächliche Ausmaß des Schadens erst noch herausfinden muss. Sie ist pragmatisch genug, um sich alle Optionen offen zu halten, und so ist es gut zu wissen, dass Mark interessiert ist. Langsam erhebt sie sich und kritzelt eine Nummer und den Namen »Millie« auf den Notizblock neben dem Telefon. Sie reißt den Zettel ab und steckt ihn Renton, der nun ebenfalls aufgestanden ist, weil er das Gefühl hat, die Situation würde danach verlangen, in die Hosentasche. — Das is nich meine Nummer, sondern die von einer Freundin in Brixton. Sie weiß, wie sie mich erreichen kann. Wenn du dich mal treffen willst oder so, gib ihr einfach deine Nummer. Ich ruf dich dann zurück.
Renton steht zwischen ihr und der Tür, macht aber keine Anstalten, beiseitezutreten. Eine Sekunde lang denkt Charlene, er könnte ihr den Weg versperren wollen, aber sie weiß, dass er nicht der Typ für derlei Szenen ist. Als sie ihn umarmt, ist sie irritiert davon, wie distanziert er auf einmal wirkt und wie problemlos er die Situation – nach einem kurzen Aufflammen der Begierde – akzeptiert hat. Ein Gefühl der Reue kommt in ihr auf. — Du bist ein echt lieber Kerl, sagt sie und umarmt ihn noch enger.
Renton windet sich in ihren Armen wie ein ungeduldiges Kleinkind, das endlich auf die Erde gesetzt werden will. — Okay … du bist auch toll … ähm, wir sehen uns, Charlene, sagt er wie ein Roboter.
Hau ab, hau ab, hau endlich ab! Skag, Skag, Skag!
Charlene löst die Umarmung, aber nicht den Griff, der seine Hand hält, tritt einen Schritt zurück und schaut ihn an. Ihr Blick wandert über seinen dünnen Körper und bleibt an seinem Lächeln und den gelben Zähnen hängen. — Du rufst mich doch an, oder? Es war echt gut mit dir … ich meine, im Bett und so …, sagt sie.
— Aye, mach ich, erwidert Renton, während jede Faser seines Körpers schreit: JETZT GEH SCHON ENDLICH! Zu seiner großen Erleichterung dreht sich Charlene um. Über der Schulter trägt sie die Sealink-Tasche. Dummerweise benutzt sie den langen Tragegurt, sodass ihm ein letzter Blick auf diesen göttlichen Knackarsch verwehrt bleibt. Obwohl sich Aussehen und Form unauslöschlich in sein Gehirn eingebrannt haben, hätte er ihn zum Abschied gern noch einmal gesehen.
Erst die Studentin abserviert, jetzt von der Ladendiebin in die Wüste geschickt.
I will survive …
Als Renton hört, wie sich die Fahrstuhltüren schließen, hastet er zu seinem Dope-Versteck. Das Heroin liegt zusammen mit vergammeltem Blattsalat und Sellerie in einem Fach des vor sich hin brummenden Kühlschranks. Er schnappt sich sein Brillenetui, setzt sich an den mit massenhaft Unrat vollgekramten Couchtisch und beginnt sofort damit, einen Schuss aufzukochen. Das Klappen der Wohnungstür lässt ihn aufhorchen. Einen Moment lang fürchtet er, dass Charlene zurückkommen könnte, aber es ist nur Nicksy.
Weitere Kostenlose Bücher