Skagboys 01
on …
Die beiden laufen eine gefühlte Ewigkeit durch die Gegend, zitternd und verzweifelt. Von Zeit zu Zeit werfen sie ein paar Geldstücke in ein Münztelefon und versuchen ihr Glück. Sie erhalten allerdings immer wieder die gleiche düstere Antwort: Nichts zu machen, kannste knicken. Die Stimmen am anderen Ende der Leitung klingen müde und niedergeschlagen, krächzen förmlich, als würden sie nur darauf warten, dass der Sensenmann an die Tür klopft. Trotzdem gehen die beiden weiter. Irgendwann gehen sie nur noch, um zu gehen und in Bewegung zu bleiben. Nicht denkende, aber atmende Bündel aus Knochen und Zellen ohne eigenen Willen. Mit jedem Schritt fallen sie tiefer in einen Zustand, in dem der Stumpfsinn herrscht – Intellekt, Gefühle, Hoffnung und Bewusstsein sind auf ein Minimum reduziert. Alles nur noch rein biologisch.
Mit einem Blick zur Seite sieht Renton sein Spiegelbild in den Schaufenstern der Geschäfte, an denen sie vorübergehen. Er fühlt sich an einen Orang-Utan erinnert: Die Arme hängen ihm schwer an den Seiten herunter und schwingen wie Pendel vor und zurück, während sich weiter oben, auf seinem dreckigen und verschwitzten Kopf, rote Haarbüschel aus einem verfilzten Nest emporstrecken.
Nach einer Weile wird ihnen klar, dass sie in Gorgie sind. Sie fühlen sich wie Eindringlinge, denn die Leute in dieser Gegend scheinen Hibernian-Fans regelrecht riechen zu können. Nicht nur die Typen, die aus den Wettbüros und Kneipen torkeln, auch die jungen Mütter, die mit Jogginganzügen bekleidet ihre Kinderwagen durch die Gegend schieben, schauen komisch. Am schlimmsten sind allerdings die alten Hexen, mit Mündern, so runzelig wie Katzenafter: Feindselig starren sie die beiden Freunde an, die paranoid und leidend durch die Straßen schlurfen.
Wer sind diese Leute, diese Fremden, in deren Mitte wir Unglückselige uns bewegen?
Renton kommt der Gedanke, dass ihr Umhergelaufe sinn- und ziellos sein könnte. Sein fieberhaft arbeitendes Hirn jedoch hat eine Reihe isolierter Informationsbrocken und allerlei Mutmaßungen zusammengeführt und die Richtung seiner müden Schritte bestimmt. Sick Boy spürt diese vermeintliche Zielstrebigkeit seines Freundes und folgt ihm, wie ein ausgehungerter Hund seinem betrunkenen Herrchen folgt, weil er hofft, dass ihm dieser doch noch irgendwie eine Mahlzeit besorgen kann. Sie schleichen die Wheatfield Road hinunter. Es herrscht eine Totenstille, die in Rentons Ohren allerdings wie H-E-R-O-I-N klingt. Er hat das Gefühl, dass dieser trostlose Skaggestank, den er aus Seekers Wohnung in der Albert Street kennt, in der Luft liegt. — Was machen wir hier?
Renton läuft weiter, und Sick Boy, die Nackensehnen zum Bersten gespannt, trottet ihm immer noch wie ein verzweifelter Hundewelpe hinterher. Das Gras in den Ritzen zwischen dem Kopfsteinpflaster wird zunehmend dichter. Die viktorianischen Mietshäuser, an denen sie vorbeigehen, sind allerdings so grau und trostlos, als würde hier niemals die Sonne scheinen. Sie schauen rüber zum Tynecastle-Stadion, zur Rückseite der Arena, und denken an die Derbys vergangener Tage, die sie unter dem langen Dach der Wheatfield-Seite verfolgt haben. Am Ende der todstillen Straße befindet sich eine Brennerei. Auf der linken Seite schlängelt sich ein schmaler Zubringer unter einer Eisenbahnbrücke hindurch. Leicht zu übersehen, wenn man ihn nicht kennt.
— Das ist es, sagt Renton. — Hier stellen sie das Zeug her.
Sie gehen unter der Eisenbahnbrücke hindurch. Nur ein paar Meter weiter verläuft eine weitere Brücke über ihren Köpfen. Zwischen den beiden Überführungen erhebt sich auf der rechten Seite ein dreistöckiges viktorianisches Gebäude aus rotem Sandstein, auf dessen Fassade in großen Lettern der Name des Werks prangt: BLANDFIELD WORKS.
Dieses Gebäude ist das Schaufenster des Pharmazieunternehmens: die Büros, in denen Vertriebsmitarbeiter empfangen und Anfragen bearbeitet werden. Die sich daran anschließenden Bauten hinter den Bahnschienen wirken durch die hohen und mit Stacheldraht besetzten Zäune weitaus weniger einladend. Renton fällt sofort die Masse an Sicherheitskameras auf, die auf die Straße gerichtet sind. Er merkt, dass auch Sick Boy die Linsen wahrgenommen hat – seine großen, hervorstehenden Augen scannen die Umgebung, während sein schmerzgeplagtes Gehirn die Informationen zu verarbeiten versucht. An den Werkstoren herrscht reger Betrieb. Es scheint gerade Schichtwechsel zu
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