Skagboys 01
hinüber, die es gar nich abwarten können, dass endlich die Fetzen fliegen.
Plötzlich zieht eine Applauswelle durch die Masse. NUM-Chef Arthur Scargill ist aufgetaucht und wird wie ein Rockstar empfangen. Alle brüllen im Chor: »Victory to the Miners!« Der Wind auf dem freien Feld zerzaust Scargills Überkämmer-Frisur, sodass er sich schnell eine Baseballkappe aufsetzt.
»Die Kollegen sagen, dass hier jede Menge Spione vom MI5 rumrennen«, meint ein Typ namens Cammy aus unserem Bus zu Andy, als wir uns weiter nach vorn drängeln, um einen Blick auf Scargill zu erhaschen. Diese Ansage schmeckt mir ganz und gar nicht, da der britische Geheimdienst in meiner Vorstellung Typen vom Schlage eines Sean Connery beschäftigt. Mit Smoking, in Monte Carlo und so. Jetzt sollen es auf einmal irgendwelche elenden Wichser sein, die auf Kuhdörfern in Yorkshire als Bergleute verkleidet rumlaufen, um Demonstranten zu verpfeifen?! Erbärmlich.
Jemand reicht Scargill ein Megafon, und sofort fängt der Mann mit einer seiner emotionsgeladenen Reden an. Gänsehaut vorprogrammiert! Er spricht von den Rechten der Arbeiter, die über Jahre hinweg erkämpft wurden, und davon, dass wir ohne das Streik- und Organisationsrecht nicht viel mehr sind als einfache Sklaven. Seine Worte wirken wie Drogen: Man kann förmlich spüren, wie sie durch die Körper der Anwesenden strömen und ihnen die Tränen in die Augen treiben, ihnen Mut machen und ihre Herzen stärken. Als er mit erhobener Faust zum Ende kommt, brüllen alle aus voller Kehle wieder und wieder: »Victory to the Miners!«
Die Führungsriege der Bergleute, einschließlich Scargill, quatscht jetzt mit den Bullen. Sie versuchen, ihnen zu verklickern, dass wir am falschen Ort stehen. Denn dort, wo wir momentan festsitzen, haben wir keine Chance, unser Streikrecht anständig auszuüben. Man hat uns auf einem Feld zusammengetrieben und eingekesselt – viel zu weit weg von der Fabrik. »Wir könnten genauso gut im beschissenen Leeds stehen«, schimpft ein dicker Typ mit Donkeyjacke. Er nimmt einen Bullen mit Schutzausrüstung und riesigen Koteletten ins Visier und brüllt ihn an: »Ihr Typn seid ne verdammte Schande!«
Der Angesprochene steht aber nur da und glotzt stur geradeaus, als wäre er einer dieser Wachsoldaten am Buckingham Palace oder so was.
Die Stimmung lockert sich etwas, als jemand nen Fußball in die Menge schießt. Ruckzuck werden ein paar Tore aus Bergarbeiterhelmen aufgebaut, und wir spielen eine Runde. Als ich im gegnerischen Team den wieselflinken Cockney-Arsch Nicksy ausmache, rollt eine Welle der Euphorie durch meinen Körper. Er ist gerade am Ball, dribbelt durch die Gegend und scheint sich seiner Sache sehr sicher. Also brause ich auf ihn zu und hol ihn mit einer fiesen Blutgrätsche von den Beinen. »Nimm das, du englischer Hurensohn!«, brülle ich, als er zu Boden geht. Nicksy springt sofort wieder hoch und schreit: »Bist vom MI5, oder was is los, du Brutalo-Wichser?!«
Die Jungs hören auf zu spielen, und alle erwarten eine zünftige Keilerei. Wir starren uns aber nur an und brechen beide in lautes Gelächter aus.
»Na, wie steht’s, Mark?«, fragt Nicksy. Er ist ein drahtiger, kleiner Typ mit nervös umherschwirrenden Augen, einem langen Pony und hakenförmiger Nase. Von seinem Aussehen und seinen Bewegungen her würde man auf einen Leichtgewichtsboxer tippen. Ständig tänzelt er umher und macht einen auf dicke Hose. Der Junge scheint in der Steckdose zu schlafen, er hat eine unglaubliche Energie.
»Alles bestens«, antworte ich und schaue rüber zur Bullerei. »Ziemlich harte Nummer, die die heute abziehen, was?«
»Auf jeden Fall heftig. Kam Freitag mitm Zug nach Manchester hoch und bin gestern hierhergetrampt. Da war die ganze Gegend schon voller Polypen.« Er dreht seinen Kopf in Richtung der Bullen und fügt dann hinzu: »Ein paar von den Ärschen hamse nach Toxteth und Brixton extra in Sachen Tumultbekämpfung geschult. Die warten nur drauf, endlich loszulegen.« Dann wendet er sich wieder zu mir. »Mit wem biste hier, Junge?«
»Mit meim alten Herrn. Sind mitm schottischen NUM-Bus hier runtergekommen«, erkläre ich. Dann fliegt der Ball über unsere Köpfe hinweg, und wir versuchen, wieder ins Spiel einzusteigen. Kurz darauf lassen wir’s aber sein, da sich auf beiden Seiten immer mehr Leute versammeln. Die Spannung steigt erneut.
Das Fußballspiel wird komplett eingestellt, als jemand schreit, dass die Lastwagen der Streikbrecher bald
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