Skagboys 01
Tasche gefunden hatte. Anschließend traf ich mich mit Fiona, Joanne, Bisto und ein paar anderen in der Bar und erzählte ihnen von meiner Unterhaltung mit Parker. Meine mehr als gerechtfertigte Racheaktion – die »Ressourcenumverteilung«, wie Sick Boy und ich Diebstähle dieser Art gern nannten – erwähnte ich aber nicht, da die anderen sie wahrscheinlich falsch oder gar nicht verstanden hätten.
— Dieser Armleuchter will tatsächlich, dass ich das Teil noch mal lese, stöhnte ich und nahm noch einen Schluck von dem schalen Lager.
— Wenn wir erst in Europa sind, wirst du genug Zeit haben, das Ding während der Reise zu lesen, sagte Fiona mit einem kühlen Lächeln und nahm einen Zug von ihrer Marlboro, bei dem mir fast das Herz stehen blieb. Joanne kicherte nur, und ich war mehr denn je davon überzeugt, dass die beiden uns verarschten. Als ich wieder in Edinburgh war, rief mich Bisto an, um mir zu sagen, dass die Ladys definitiv mitkämen und sogar schon die InterRail-Tickets gekauft hätten. Ich meinte nur zu ihm, dass ich es erst glauben würde, wenn ich mit ihnen im Zug säße.
Als der Tag dann kam, staunte ich nicht schlecht: Joanne hockte tatsächlich mit Sack und Pack in der großen Wartehalle der Waverley Station. Sie las Leben und Zeit des Michael K. von J. M. Coetzee. Sehr wahrscheinlich, weil der Schinken irgendeinen bescheuerten Preis gewonnen hatte. Leute wie sie – die sich zwar gern als Freidenker ausgeben, aber trotzdem keinen blassen Schimmer haben, was sie lesen sollen – brauchen nun mal solche »Empfehlungen«. Als wir in den InterCity einstiegen, war das Gefühl unserer gegenseitigen Abneigung nur schwer zu leugnen. Insgeheim fragten wir uns, wie wir die nächsten vier Wochen miteinander überstehen sollten. Glücklicherweise wartete im Zug schon Bisto auf uns. Er war bereits in Aberdeen eingestiegen und hatte etwas Alk dabei. So tranken wir auf dem Weg nach Newcastle, wo Fiona zusteigen sollte, ein paar Bier.
Obwohl ich unheimlich gespannt darauf war, sie wiederzusehen, spielte ich den Coolen und ließ mir nichts anmerken, als ich sie auf dem Bahnsteig entdeckte.
— Fiona, wir sind hieeer!, plärrte Joanne mit ihrer Weedgie-Röhre von unserem Waggon aus zur ihr hinüber, als sie sie in der Menschenmenge ausmachte.
Fiona sah einfach umwerfend aus. Als sie ihr Gepäck verstaute, blickte sie ziemlich konzentriert drein und ließ ihre Zunge über ihre kleinen, gleichmäßigen Vorderzähne wandern. Dann kam sie zu uns rüber, und im Handumdrehen hatten ihre bloße Anwesenheit und ihre Bewegungen alles in mir durcheinandergebracht. — Hi, sagte sie und schaute dabei zuerst mich an. Ich bin mir sicher, dass mein Gesicht in diesem Moment so rot anlief wie Bistos Aberdeen-Trikot (das mit den weißen Nadelstreifen und dem 83er-Ehrenkranz für den gewonnenen Europapokal der Pokalsieger). Mein Innerstes hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits in einen Haufen Gehacktes verwandelt, sodass ich nichts anderes hinbekam, als mein Bier zu einem affektierten Toast anzuheben. Fiona trug eine schwarze Lederjacke mit hochgeschlagenem Kragen. Als sie sie auszog, kam ein Gang-of-Four-Shirt zum Vorschein. Sie strich ihre schwarzen Haare zurück, und mir wurde klar, dass ich noch nie in meinem Leben jemanden so toll gefunden hatte wie sie. Nun ging es los: Wir waren on the road! London–Paris–Berlin–Istanbul.
Wie hätte unsere erste Station nicht Paris sein können? Wir saßen in diesem Straßencafé im Quartier Latin und tranken Pernod mit Eiswürfeln. Es war unglaublich heiß, und so tat der Alkohol seine Wirkung besonders schnell. Ein sexy Vibe lag in der Luft, der zum Flirten anhielt. Ich weiß nicht mehr genau, wieso, aber irgendwann begannen wir mit diesem bescheuerten Trinkspiel, bei dem wir die Eiswürfel von Mund zu Mund im Kreis weitergaben. Das war aber erst der Anfang, denn nachdem der Eiswürfel weitergewandert war, folgte ein Zungenkuss zwischen den beteiligten Parteien.
Als Joanne und Fiona vorlegten, waren Bisto und ich völlig baff. Weiter ging’s mit Joanne und mir, gefolgt von Bisto und Fiona, wobei ich innerlich in Tränen ausbrach. Dann waren Bisto und ich dran. Stocksteif drückten wir unsere geschlossenen Münder aufeinander und legten einen übertriebenen Filmknutscher hin, was die Mädels mit quietschendem Beifall quittierten. Anschließend mussten die Plätze gewechselt werden, denn es fehlte noch eine Konstellation. Mein Herz schlug mir bis zum Hals, als Fiona und ich
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