Skagboys 01
uns tief in die Augen sahen und in diesem ewig langen Moment einen Pakt miteinander schlossen: Ich bin dein, und du bist mein.
Erst als sich das begeisterte Lachen der anderen in genervtes Stöhnen verwandelt hatte, bemerkte ich, dass der Eiswürfel längst geschmolzen war, unsere Lippen aber immer noch zusammenklebten. Sie wollten sich noch nicht voneinander lösen, und so machten wir weiter und ignorierten Bistos Witze und die Nörgeleien der kontrollsüchtigen Joanne.
Ihre Entrüstung war nur allzu verständlich, schließlich hatten wir ihr mit dieser Nummer die Tour versaut. Sie wollte nämlich auf unserem Europa-Trip Jungs vom Festland kennenlernen und schauen, was die kontinentalen Kerle so draufhatten, bevor sie sich an der Uni einen pickelgesichtigen Studi krallen und mit ihm den Rest ihres Lebens verbringen würde. Später erzählte mir Fiona, dass Joanne sich regelrecht bei ihr beschwert hatte: … Das war so nicht abgemacht!
Keine Frage, als frisch verknalltes Pärchen waren wir eine ziemlich peinliche Reisebegleitung für Bisto und Joanne. Die beiden waren nicht aneinander interessiert, und wir rieben ihnen diesen Umstand durch unser Pärchen-Dasein immer wieder unter die Nase.
Und wie!
Mir gefiel es sogar irgendwie, Salz in die Wunde zu streuen. Als wir in unser Hotel in der Nähe des Gare du Nord zurückkehrten, war allen klar, dass Fiona und ich zusammen schlafen würden. Unsere Unterkunft war ein von Algeriern geführtes Dreckloch, das mir in diesem Moment aber wie eine Nobelherberge vorkam. Ich hatte das Gefühl, mit einem Mädchen zusammenzuleben, und zwar in Europa! Im Grunde tat ich das ja auch. Wenn man mit zwei Brüdern aufwächst, ist diese alltägliche Nähe zu einem Mädchen eine unglaublich faszinierende Angelegenheit. Ich war ganz entzückt von ihrem Anblick: Wie sie da auf der Bettkante saß, in diesem überraschend gut aussehenden Hotel-Bademantel, sich dann von dem abgewetzten Bettüberwurf erhob, den Mantel abstreifte und ins Bad ging, um sich die Beine zu rasieren. Wie sie sich nicht einfach nur die Zähne putzte, sondern auch die Zahnzwischenräume mit diesen dünnen Fäden reinigte. Wie sie sich, die nassen Haare in ein Handtuch eingeschlagen, an den Tisch vor dem Wandspiegel setzte, um sich zu schminken oder ihre Fingernägel zu feilen.
Ich nahm mir sogar Parkers Ratschlag zu Herzen und las noch einmal Zärtlich ist die Nacht . Dabei fantasierte ich über Mark Philip Renton und Fiona Jillian Conyers als eine moderne Version von Dick und Nicole Diver: ein Boheme-Pärchen, das auf der Reise durch Europa interessante Abenteuer erlebt und allerlei kultivierte Beobachtungen über Gott und die Welt anstellt.
Die Sache mit Fiona war ein großer Schritt für mich. Mein bisheriges Sexleben war eine Aneinanderreihung ziemlich enttäuschender, zumeist heimlicher und außergewöhnlich kurzer Kopulationen in Treppenhäusern, elterlichen Schlafzimmern oder unter schmuddeligen Decken in lärmigen Squats gewesen. Verglichen damit war das, was ich mit Fiona in Paris erlebte, die reine Dekadenz. Unser Glück bedeutete allerdings auch, dass der arme Bisto sich das Zimmer nebenan mit Joanne teilen musste.
Unser nächster Stopp war Berlin, und die Sache lief weiter rund. Ich war hellauf begeistert von der Stadt. Auf der Linie 6 Richtung Friedrichstraße gab es dieses tolle Stück, wo die U-Bahn unter der Mauer hindurchfuhr und dann durch ein paar gespenstisch anmutende, vollkommen menschenleere Stationen auf der Ostseite ballerte, die die Kommis nach der Teilung geschlossen hatten. Im Westsektor kletterte die Bahn wieder an die Oberfläche.
Einmal stahlen Fiona und ich uns davon (eigentlich taten wir das ziemlich oft), um uns Ostberlin anzuschauen. Ich brannte darauf, den Osten zu sehen. Es war viel besser als der Westen: keine Werbetafeln, die die wunderschönen alten Gebäude verschandelten, ein riesiges Drei-Gänge-Menü für dreißig Pfennig und zum Abschluss ein Blowjob im Park mit dem zusätzlichen Kick von bewaffneten Grenzpatrouillen in unmittelbarer Nähe. Um ein Haar hätten wir sogar die Sperrstunde verpasst, weil wir über Checkpoint Charlie nach Westberlin zurückwollten, obwohl wir über die Friedrichstraße in den Osten gekommen waren. Wir hatten keine Ahnung, dass man ein und denselben Grenzübergang für Ein- und Ausreise benutzen musste.
Später saßen wir in einem Bistro und tranken schwarzen Kaffee, während die Geräusche der geschäftigen Stadt – das Konzert der
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