Skalpell Nr. 5
hatten die Skelette fotografiert, vor allem den Nackenwirbel mit der Fraktur, die gebrochenen Rippen und den Schädeldefekt. Sie hatten Erdproben an den Stellen gesammelt, wo vermutlich die Mägen gelegen hatten, um möglicherweise noch feststellen zu können, was die Verstorbenen gegessen hatten – ziemlich unwahrscheinlich, wie sie wussten, aber Harrigan bestand trotzdem darauf, die Proben ins Labor zu schicken, um sie zusammen mit dem Haar toxikologisch untersuchen zu lassen. Als Jake schließlich gegen sieben abfuhr, war Harrigan noch immer im Krankenhaus und machte Röntgenaufnahmen von den Knochen.
Jake hörte erst wieder am Dienstagnachmittag von Harrigan. Es war schon nach drei, und Jake hatte noch zwei weitere Obduktionen vor sich. Er ging gerade in seinem Büro die Post durch und legte alles beiseite, was nicht den Vermerk DRINGEND trug, als das Telefon klingelte.
»Hast du eine Minute Zeit?«
»Vielleicht auch zwei, aber mehr nicht. Was gibt’s denn?«
»Ich bin hier einen gehörigen Schritt weitergekommen. Die neuen Erkenntnisse sind sowohl gut als auch schlecht.« Petes Stimme klang angespannt, aber zumindest einigermaßen kräftig.
»Lass hören.«
»Die gute Nachricht ist, wir wissen jetzt, wo die Leichen herkamen. Die schlechte Nachricht ist, alle sind so zufrieden mit der Antwort, dass sie mit der Arbeit an dem Einkaufszentrum weitermachen wollen.«
»Jetzt mal langsam. Wie hast du rausgefunden, wo die Leichen her sind?«
»Hab ich nicht. Das war Marge Crespy. Erinnerst du dich an die Initialen auf dem Gummibund?«
»Natürlich.«
»Tja, die stehen für ›Turner Mental Hospital‹. Eine psychiatrische Klinik, die sich inzwischen Turner Psychiatric Institute nennt, aber Marge kennt sich mit der hiesigen Geschichte aus und kannte den früheren Namen. Das war mal eine Anstalt für Geisteskranke. Jedenfalls hab ich daraufhin Hank Ewing kontaktiert – Henry Ewing, Nobelpreisträger, Dekan der Catskill Medical School und einstiger Direktor der Klinik in Turner, alter Bekannter von mir –, und der hat mir einiges über die Geschichte der Klinik erzählt. Ich werd’s dir berichten, wenn wir uns sehen. Wichtig ist, die haben da im Laufe der Jahre fast zehntausend Leute behandelt, darunter auch Hunderte von mittellosen Patienten.«
»Und Ewing sagt, sie haben die einfach auf dem Feld begraben?«, wollte Jake wissen.
»Es liegt nicht weit von der Klinik – die übrigens inzwischen geschlossen wurde. Wahrscheinlich sind denen in Baxter County die Irren ausgegangen, oder es wurde zu teuer, sie zu versorgen. Marge hat keine Aufzeichnungen darüber gefunden, dass das Feld mal ein Armenfriedhof war, und wenn es nach Sheriff Fisk und Bürgermeister Stevenson geht, ist der Fall abgeschlossen. Bedürftige. Nicht mehr identifizierbar. Im Morgengrauen greift der Schaufelbagger wieder an.«
Wieder spürte Jake ein ungutes Gefühl in der Magengegend. Bestechung. »Das geht zu schnell«, sagte er. »Die sollten wenigstens warten, bis du die Toxikologie- und DNS-Ergebnisse hast.«
»Genau. Außerdem muss ich eine neue Röntgenaufnahme des Humerus von Skelett Nummer zwei machen. Da ist irgendwas schiefgegangen.«
»Aber Fisk und Stevenson wollen die Bauarbeiten nicht weiter verzögern.«
Harrigan seufzte. »Weißt du was, vielleicht sollte ich sie einfach weitermachen lassen. Ich muss schließlich hier leben, und ich hab kein Talent zum Märtyrer.«
Jake spürte Wut in sich aufsteigen. »Du willst aufgeben?«
»Eigentlich nicht.« Er hörte sich plötzlich sehr müde an. »Ich war Montag noch mal am Fundort und hab nach der Platte aus dem Schädel von Skelett Nummer drei gesucht. Fisk hätte das nie im Leben gemacht. Ich hab sie gefunden. Passt haargenau. Kannst du dir morgen mal ansehen.«
»Pete, ich kann unmöglich kommen. Ich hab hier Arbeit für einen Monat liegen, die bis Freitag fertig sein muss.«
»Aber wer soll mir denn sonst dabei helfen, die anderen drei Skelette zu identifizieren?«
Der gerissene Fuchs. Die anderen drei? »Eins hast du schon identifiziert?«
»Anhand des Wäschezeichens.« Harrigan klang sehr zufrieden mit sich.
»Vorausgesetzt, der Mann hatte seine eigene Unterhose an.«
»Aus einem Dienstbuch, das bei der Turner Historical Society aufbewahrt wird, geht hervor, dass Patient Nummer 631217 ein gewisser James Albert Lyons war. Größe, Hautfarbe und Alter passen. Ich versuche, seine Angehörigen ausfindig zu machen.«
»Du vergeudest wirklich keine Zeit.«
»In
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