Skalpell Nr. 5
sagte sie.
Er mühte sich ab, sein Jackett anzuziehen, aber eine Hand schien sich im Ärmel verfangen zu haben. Er starrte sie an. »Wie bitte?«
»Ich fahr Sie nach Turner.«
»Kommt gar nicht infrage.«
»Ach ja? Dann versuchen Sie mal, mich loszuwerden.«
Er überlegte kurz. Sie wartete gespannt auf seine Antwort, erstaunt, wie nervös sie war. »Okay.«
Will er nur keinen Ärger mit mir, oder will er mich wirklich dabeihaben? Egal. »Gut. Wir nehmen meinen Wagen.«
»Ein Porsche! Ist das nicht ein bisschen extravagant für eine Frau, die den Carramia-Fall verloren hat?« Sie standen im Parkhaus in der Nähe des Restaurants. Sie klärte ihn nicht darüber auf, dass sie den Wagen gebraucht gekauft hatte.
»Den hab ich mir vor Carramia zugelegt. Hin und wieder gewinne ich ja doch, und manchmal ist das sogar ganz lukrativ«, sagte sie. »Und außerdem: Gute Kleidung und Autos sind keine Extravaganzen.« Sie beschloss, ihm nicht die Philosophie ihrer Eltern zu erläutern.
Seine ausgestreckte Hand gab ihr zu verstehen, dass er die Autoschlüssel haben wollte. Sie sah ihn an. »Das soll wohl ein Witz sein.«
»Ich finde, ich sollte fahren.«
»Vielleicht ist es ja Ihrer Aufmerksamkeit entgangen«, sagte sie, »dass das mein Auto ist. Außerdem können Sie gar nicht mehr fahren. Sie haben zwei Gläser Wein getrunken.«
Er massierte sich die Schläfen; wenn sie so weitermachte, würde er Kopfschmerzen bekommen. »Vor zwei Stunden. Ich bin ein Mann, wiege knapp neunzig Kilo und habe soeben eine gehaltvolle Mahlzeit zu mir genommen. Soll ich Ihnen die Geschwindigkeit des Alkoholmetabolismus im menschlichen Körper erklären?«
»Unterstehen Sie sich!«
»Schön. Dann geben Sie mir den Wagenschlüssel. Wir müssen hin, die Obduktion durchführen und wieder zurück. Da können wir uns nicht ans Tempolimit halten.«
Sie gab ihm den Schlüssel, und er klemmte sich hinters Lenkrad. »Wo ist denn das verflixte Zündschloss?«
Sie unterdrückte ein Lachen. »Links vom Lenkrad, wo es in einem Porsche-Kabrio auch hingehört. Eine Hommage an seine Vergangenheit als Rennwagen.«
Er sah nach unten. »Mist. Drei Pedale.«
Ihr Lachen platzte heraus. »Natürlich. Es ist ein Porsche.«
Er stieg wieder aus und reichte ihr den Schlüssel. »Ich kenn mich nicht aus mit Schaltwagen.«
Ihr lag zwar die eine oder andere freche Bemerkung auf der Zunge, aber sie beherrschte sich. Welcher Mann unter achtzig kann denn nur Automatikautos fahren?
Sie fuhren aus dem Parkhaus, brausten quer durch die Stadt und hielten vor einem Mietshaus. »Was ist los?«, fragte er. »Probleme mit der Schaltung?«
Sie warf ihm einen erbosten Blick zu. »Ich kann doch meinen Kleinen nicht die ganze Nacht allein lassen. Passen Sie auf den Wagen auf.«
»Ihren Kleinen?«, rief er ihr nach.
Er wartete im Auto, während sie hinauf in ihre Wohnung ging. Hatte sie je ein Kind erwähnt? Er stellte sich vor, wie er einer Verrückten half, einen Kindersitz im Porsche zu montieren. Hatte sie ernsthaft vor, ein Kind mit zu der Obduktion zu nehmen? Wieso hatte er sie überhaupt mitkommen lassen?, fragte er sich, versuchte aber gar nicht erst, die Antwort darauf zu finden.
Als sie zurückkam, trug sie ein kleines Bündel und eine große Tasche. »Das hat aber lange gedauert«, sagte er.
»Mycroft musste noch einmal Gassi um den Block.« Sie setzte sich hinters Steuer und legte ihm das Bündel auf den Schoß.
Es bewegte sich. »Ein Pudel!« Sie ist irre, keine Frage.
»Erst ein Jahr alt. Ich kann ihn nicht so lange allein lassen. Er schmust gern.«
»Das ist doch hoffentlich nicht Ihr –«
»Und könnten Sie Ihr Fenster runterkurbeln? Mycroft hat gern frische Luft.«
Sie reichte ihm die prall gefüllte Tasche – Prada. Er versuchte, auf dem Boden sowohl Platz für die Tasche als auch für seine Füße zu finden, wohl wissend, was ihrer Meinung nach wichtiger war.
»Was zum Teufel haben Sie denn da drin?«
»Ein paar Akten, die ich durchsehen kann, während Sie die Leiche zerhacken. Aber das meiste ist für Mycroft: Schmusedecke, Spielzeug, Napf, Evian und Kauknochen; sein Vlies, falls es kalt wird, sein kleines rotes Lieblingskissen. Eben die Grundausstattung.«
»Sie schleppen eine Flasche französisches Mineralwasser für Ihren Hund mit?« Jake und Mycroft beäugten sich gegenseitig. Das Fell des Tieres glänzte und war säuberlich gestutzt, aber sein Unterkiefer stand seltsam vor, und ein Zahn lugte seitlich hervor. »Das nenn ich einen
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