Skalpell Nr. 5
freigab. Manny zwang sich, nicht wegzusehen, und versuchte, ruhig zu atmen, während Jakes Skalpell durch Schichten aus bleicher Haut, glänzendem gelben Fett und rosa Muskelfleisch schnitt. Er schält die arme Mrs. Alessis wie eine Apfelsine. Einige wenige Blutrinnsale liefen an den Seiten der Leiche herab und verschwanden durch die Löcher im Autopsietisch.
»Manche Leute denken, dass tote Körper nicht bluten«, erläuterte Jake. »Aber wenn wir sterben, sind unsere Blutgefäße gefüllt, und sobald man sie anschneidet, läuft das Blut aus, wie Wasser aus einem Gartenschlauch.«
Er holte eine elektrische Handsäge hervor und schaltete sie ein.
»Igitt!« Das Geräusch erinnerte an einen Bohrer beim Zahnarzt, nur tausendfach verstärkt.
Doch Jake schien das nicht zu stören, während er das Brustbein durchsägte, um in die Körperhöhlen vorzudringen. Er blickte auf, als er den Brustkorb öffnete. »Alles in Ordnung?«
Sie wusste, dass sie weiß geworden war. Ihre unbedeckten Schuhe waren mit Blut bespritzt. »Ich glaube, ich nehme jetzt das Wick Vaporub.«
Er zeigte auf das Töpfchen, und sie streifte die Handschuhe ab, um sich einen Klecks unter die Nase zu reiben. »Ziehen Sie frische Handschuhe an«, sagte er. Sie gehorchte.
Jake hielt jetzt Mrs. Alessis’ Herz in Händen und hob es hoch, damit Manny es sich ansehen konnte. »Das Herz ist bloß ein Muskel«, sagte er. »Eine Pumpe. Die Lungen sind der Blasebalg. Die Nieren die Kläranlage. Das Skelett ist das Gerüst. Magen und Dünndarm der Ofen, wo Brennstoff – Nahrung und Wasser – in Energie umgewandelt wird. Leber, Gallenblase, Harnblase, Nieren und Dickdarm sind sozusagen die Kanalisation und kümmern sich um die Müllentsorgung. Und das Gehirn – ha, was für ein Wunderwerk! – ist ein so unglaublich komplizierter Hochleistungscomputer, dass ein anderes Gehirn ihn nicht mal ansatzweise erfassen kann.«
»Faszinierend«, krächzte sie. Bloß nicht umkippen. Nicht brechen. Tu so, als hörtest du ihm zu.
»Ich war nie besonders gläubig«, sprach er weiter, »vor allem wegen der schrecklichen Dinge, die ich Tag für Tag sehe: die toten Kinder, die Opfer von Gewalt, das sinnlose Sterben. Aber wenn ich in den menschlichen Körper blicke, kann ich nachvollziehen, warum Menschen an einen Schöpferplan glauben. Ein toller Apparat, finden Sie nicht?«
»Sie haben völlig recht.«
»Herz normal groß.« Er nahm eine Blutprobe, die toxikologisch untersucht werden würde. »Lunge rosa und gesund. Sie war Nichtraucherin.« Jake entnahm die Organe aus dem Körper und wog sie. Das war, so sagte er, die schnellste Methode, um festzustellen, ob sie normal waren. Der Anblick der blutigen Organe, die an der Waage baumelten, löste eine weitere Übelkeitswelle aus. Nie, nie wieder gehe ich in eine Metzgerei.
»Nun zum Kopf«, sagte er munter.
Das darf nicht wahr sein.
Er durchtrennte die Kopfhaut von einem Ohr zum anderen und zog sie nach vorn übers Gesicht. Dann warf er die Elektrosäge an, schnitt die Schädelplatte auf und öffnete sie mit einem lauten Knacken, sodass das Gehirn freilag, er es herausnehmen und in kotelettgroße Scheiben schneiden konnte.
»Manche behaupten ja, Anwälte hätten gar kein Gehirn«, brachte Manny heraus. Und forensische Pathologen haben kein Herz, soviel steht fest.
Zwei Stunden später war die Obduktion vorüber. Manny hatte sich gewaschen und mit Parfüm überschüttet, aber ihr war noch immer schlecht, als sie nach draußen trat. So muss sich das Paradies anfühlen, dachte sie und sog gierig die himmlische Nachtluft in die Lunge. Vor ihrem geistigen Auge sah sie noch immer, wie Jake Mrs. Alessis’ Magen öffnete und den dünnflüssigen Inhalt mit der Suppenkelle – jawohl, Suppenkelle! – in einen Plastikbehälter löffelte. Dabei wollte er doch lediglich feststellen, woran die Frau gestorben war, damit ihre Familie ein bisschen Seelenfrieden fand. Aber wie konnte man einen Beruf ausüben, in dem man routinemäßig Leichen aufschnitt? Etwas derart Barbarisches hatte sie in ihrem Leben noch nicht gesehen. Wenn er mich je berühren würde, müsste ich an die Suppenkelle und das Herz denken. Ich wette, er ist noch Jungfrau.
Jake, der noch immer seine Chirurgenmontur trug, gesellte sich zu ihr. »Da sind Sie ja!«, sagte er. »Ich muss zum Pathologielabor. Wollen Sie mitkommen oder lieber hier draußen bleiben?« Er hielt einen Glasbehälter in der Hand.
Sie zeigte darauf. »Was ist das da drin?«
»Ein Stück
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