Skalpell Nr. 5
von Mrs. Alessis’ Leber.« Sein Tonfall war ernst, sein Gesichtsausdruck besorgt. »Sie ist runzelig und zu leicht für eine Leber. In Verbindung mit der gelblichen Augenfarbe ist das nicht unwichtig.«
»Nur fürs Protokoll«, sagte Manny. »Ich bedaure, dass ich gefragt habe.«
»Also, kommen Sie nun mit oder nicht?«
Sie lauschte den Geräuschen der Nacht. Die Grillen legten sich mächtig ins Zeug, und sie meinte, eine Eule zu hören. Unheimlich. »Ich komme mit.«
Sie folgte ihm ins Pathologielabor, wo er zu einem Gerät von der Größe einer Mikrowelle ging und es anschaltete. »Damit werden Gefrierschnitte gemacht. Und das im Handumdrehen. Es wird zum Beispiel während einer Operation benutzt, um sicherzugehen, dass genug von dem krebsbefallenen Organ entfernt wurde. Normalerweise würde ich auf die Schnitte vom Paraffinblock warten, aber das dauert ein paar Tage, und ich will mir das heute Abend noch ansehen.«
Irgendwas beunruhigte ihn. Er wirkte ernst und bestürzt. »Warum?«
»Ich glaube, die Todesursache hängt mit der Leber zusammen. Die Gelbfärbung der Augen, die Tatsache, dass die Leber runzelig und zu leicht ist – tausend Gramm statt der üblichen rund zwölfhundertfünfzig Gramm. Aber das lässt sich nur genau feststellen, indem man die Leber unter dem Mikroskop betrachtet, und das will ich noch machen, bevor wir fahren.« Jake schob das Leberstück in das Gerät.
»Ich glaube, ich verstehe noch immer nicht, worum’s geht.« Sein Verhalten machte deutlich, dass er nicht mehr zu Scherzen aufgelegt war. »Warum wollten ihre Kinder unbedingt, dass sie obduziert wird? Weil sie glauben, dass sie ermordet wurde?«
»Erstens«, sagte er, »die Angehörigen können eine private Obduktion verlangen, auch wenn die Behörden das für unnötig halten.«
»Das ist keine Antwort auf meine Frage.«
»Ehrlich gesagt, ich glaube kaum, dass Mrs. Alessis’ Kinder daran gedacht hätten, wenn ihre Mutter von meinem Bruder Sam nicht so angetan gewesen wäre. Er hat ihr von mir vorgeschwärmt, sie hat den Kindern von meiner Arbeit erzählt. Voilà. «
Das Gerät piepte. Er schnitt sorgfältig eine hauchdünne Gewebescheibe von dem gefrorenen Leberblock, als wären sie in einem Feinkostgeschäft. »Das ist ein Mikrotommesser«, erklärte er. »Unglaublich scharf. Ich werde die Gewebeprobe auf einen Objektträger geben, etwas Farbe zufügen, ein Deckglas drauflegen, und schon kann’s losgehen.« Er schob die Probe unters Mikroskop und stellte es scharf. Als er nach einer Minute aufstand, war seine Miene noch immer bedrückt. »Bitte. Sehen Sie sich das an.«
»Danke, ich bleib lieber, wo ich bin.«
»Seien Sie nicht kindisch, Sie haben immerhin eine Obduktion überstanden. Das hier ist bloß eine Gewebeprobe, Außerdem brauche ich vielleicht einen Zeugen.«
Das stimmte sie um. Plötzlich war sie ganz aufgeregt, sogar froh, und sie beugte sich über das Mikroskop. »Worauf muss ich achten?«
»Sehen Sie die kuchenförmigen rosa Bereiche? Die nennt man Leberlobuli oder Leberläppchen. Mit dieser Einfärbung müsste normalerweise jeder Zellkern blau sein, umgeben von rosa Zytoplasma.«
»Aber einige sind –«
»Kaputt.« Seine Stimme war rau. Er ging jetzt rasch auf und ab, hatte sichtlich Mühe, seine Emotionen unter Kontrolle zu halten. »Wie Sie sehen, sind die Zellkerne zerstört. Das ist totes Gewebe, wir nennen es nekrotisch. Und weil es sich mitten in der Leber befindet, bezeichnen wir diese Art von Schädigung als zentrilobulare Nekrose.«
»Und was bedeutet das?«
»Das bedeutet«, sagte er, »dass Mrs. Alessis vergiftet wurde.«
7
B is sie den Schock verdaut hatte, waren sie zurückgegangen, und er hatte sich wieder seine Zivilkleidung angezogen. Mord war ebenso sehr ihr Fachgebiet wie seines, und allmählich schaltete ihr Verstand wieder in den Arbeitsmodus.
»Was für ein Gift war es?«, fragte sie.
»Wahrscheinlich Tetrachlormethan. Es gibt nicht gerade viele Gifte, die diesen speziellen Leberschaden hervorrufen.«
»Sie meinen dieses Reinigungsmittel?«
»Sie haben davon gehört?«
»Das wurde früher in chemischen Reinigungen benutzt. Bis Angehörige von Leuten, die durch das Einatmen der Dämpfe gestorben waren, erfolgreich dagegen geklagt hatten und es verboten wurde.«
»Stimmt«, sagte er. »Sehr richtig.«
Das Kompliment freute sie über die Maßen. »Und Sie glauben wirklich, dass Mrs. Alessis daran gestorben ist?«
Jake trank einen Schluck von dem Kaffee, den er
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