Skalpell Nr. 5
hat?«
Patrice senkte den Kopf. »Deshalb ist Mom mit gebrochenem Herzen gestorben. Sie hat geglaubt, er wäre mit einer anderen durchgebrannt.« Sie setzte sich gerade hin. »Aber ich glaube das nicht.«
Manny beugte sich vor. »Patrice, zusammen mit dem Skelett Ihres Vaters wurden noch andere gefunden. Zwei waren Männer. Eins eine junge Frau.«
Jetzt scheint sie wütend zu werden. Warum? »Ich will wissen, was mit meinem Vater passiert ist. Ich habe ihn und meine Mutter geliebt. Aber als er verschwand, hat er uns großen Schmerz zugefügt.« Sie drehte ihre Handgelenke so, dass auf der Innenseite dünne parallele Narben zu erkennen waren. Selbstmordversuch. Vielleicht mehr als einer. »Und ich habe Mom wehgetan, als ich von zu Hause weggelaufen bin …« Sie schwieg kurz. »Dr. Rosen meint, es könnte ein alter Friedhof sein, weil man ja vier Leichen gefunden hat.«
»Er geht eher nicht davon aus. Die Körper sind nicht bestattet worden, man hat sie lediglich vergraben. Das ist ein Grund für die Annahme, dass sie vielleicht in der Klinik falsch behandelt wurden.«
»Was sagen denn die anderen Familien dazu?«
»Das wissen wir nicht. Die anderen sterblichen Überreste konnten noch nicht identifiziert werden.«
»Wie schrecklich!« Bitte nicht weinen. »Meinen Sie, irgendwann findet man heraus, wer diese Menschen waren?«
»Dr. Rosen versucht es. In der Zwischenzeit werde ich dafür sorgen, dass die Knochen gut aufbewahrt werden, bis eine Identifikation möglich ist. Die Skelette sind für unseren Fall von entscheidender Bedeutung, und ich will sichergehen, dass sie erhalten bleiben. Und übrigens, machen Sie sich keine Gedanken wegen der Kosten. Sie müssen mir nichts bezahlen, wenn wir keine finanzielle Entschädigung erreichen. Sollte das jedoch der Fall sein, beträgt mein Honorar ein Drittel.«
Patrice musterte sie aus zusammengekniffenen Augen. »Ich hab’s gewusst«, sagte sie. »Ich hab gewusst, dass jemand wie Sie mir nicht einfach nur helfen will. Mir geht’s nicht um Geld. Ich will bloß rausfinden, was mit meinem Dad passiert ist.«
»Ich weiß. Und ich respektiere das. Aber falls wir herausfinden, dass er in der Klinik falsch behandelt wurde, würden Sie dann nicht wollen, dass die Verantwortlichen dafür bezahlen?«
Sie dachte darüber nach. »Falls tatsächlich jemand etwas Schlimmes getan hat, könnte er dann noch immer dafür ins Gefängnis kommen? Das wäre in meinen Augen die richtige Bezahlung, nicht, indem man ihm Geld abnimmt.«
»Könnte sein. Aber nach so langer Zeit lassen sich Verbrechen oft nur schwer nachweisen, und der Täter könnte schon verstorben sein. Die einzige Möglichkeit, Genugtuung zu erlangen, ist die, den Staat zu verklagen. Das macht Sie nicht zu einem geldgierigen Menschen. Es zeigt nur, dass Sie das System zur Rechenschaft ziehen wollen. Und vielleicht schützt es eine andere Familie vor den Schmerzen, die Sie durchgemacht haben. Ihr Vater hat als Soldat sein Leben für unser Land eingesetzt. Die Umstände seines Todes sind ungeklärt. Ich möchte sowohl, dass Sie die Wahrheit erfahren, als auch, dass die Verantwortlichen bestraft werden. Und um an die Verantwortlichen heranzukommen, ob sie nun tot sind oder nicht, müssen wir einen Prozess führen. Aber ich will Ihnen nichts vormachen. Es wird nicht leicht werden.«
Manny hatte diese Rede schon oft gehalten, die den Vorteil hatte, wahr zu sein. Um Gerechtigkeit, ob nun unmittelbar nach einem Verbrechen oder lange Zeit später, musste man kämpfen, vor allem, wenn das Opfer nicht imstande war, das selbst zu tun. Der Anteil an der Entschädigung, der ihr in Patrice’ Fall zustand, wenn sie gewann, würde für die verlorenen Kämpfe und gebrochenen Herzen entschädigen, auch für ihr eigenes.
Sie sah Erleichterung in Patrice’ Gesicht. Sie glaubt mir.
»Können Sie sich erinnern, ob Ihr Vater mal erwähnt hat, dass er mit Elektroschocks behandelt wurde?«
Patrice keuchte auf. »Nein. Ist er daran gestorben?«
»Nicht ausgeschlossen. Dr. Rosen hält es für möglich.«
»Er ist an seiner Behandlung gestorben? Und die haben ihn einfach verbuddelt, damit keiner mitbekommt, dass sie Mist gebaut haben?«
Jetzt ist sie mit Recht wütend. Von nun an sitzen wir im selben Boot. »Ich weiß es nicht«, sagte Manny und drückte Patrice’ Hand. »Aber zusammen finden wir es heraus.«
10
K enneth Boyd stand auf dem Gehweg vor Mannys Büro, als sie angefahren kam. Er trug ein schwarzes Velvetonjackett mit
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