Skalpell Nr. 5
tragen. Jetzt weiß ich, was Sie mit ›eigentlich nicht‹ gemeint haben.«
»Sie sind wütend«, bemerkte er.
»Da haben Sie zur Abwechslung mal absolut recht. Wie konnte ich mich nur mit so einem doppelzüngigen Mistkerl einlassen, so einem verlogenen –«
»Sie haben sich mit mir eingelassen?«
»Das hab ich nicht gesagt.«
»Und ob Sie das gesagt haben. Hören Sie sich selbst denn nicht zu?«
»Dann hab ich es nicht so gemeint, wie Sie es verstehen. Ich habe mich im Rahmen des Falls auf eine Zusammenarbeit mit Ihnen eingelassen, rein sachbezogen. Ihre Fantasie geht mit Ihnen durch, Dr. Rosen.«
»Und Ihre mit Ihnen, Ms. Manfreda. Wenn Sie sich mal das Datum auf der Flasche ansehen würden, dann würden Sie feststellen, dass die mindestens zwei Jahre alt ist. Hätte schon längst entsorgt werden müssen. Marianna und ich haben uns vor einem Jahr scheiden lassen. Und das ganze Jahr davor lebten wir schon getrennt. Gläschen Wein gefällig?« Seine Stimme klang gequält.
»Es tut mir leid«, sagte sie. Immer wieder toll, sich bis auf die Knochen zu blamieren. »Sekt wäre schön. Aber Wein tut’s diesmal auch.«
»Unsere Ehe hat nicht mal ein Jahr funktioniert. Da hatten sich zwei Gegensätze gesucht und gefunden und munter aufeinander eingedroschen. Sie war lustig und hitzköpfig und niemals zurückhaltend.« Er lächelte Manny an. »Wie Sie. Sie hat für ein Finanzblatt gearbeitet, war aber unzufrieden. ›Ich könnte meinen Job sofort hinschmeißen und würde es keine Sekunde bereuen‹, hat sie gesagt, bevor wir heirateten. Manchmal träume ich auch davon – einfach alles hinzuschmeißen –, aber ich weiß, ich könnte es nicht.«
»Ich auch nicht«, sagte Manny freudig. In der Hinsicht sind wir keine Gegensätze.
»Nein, kann ich mir auch nicht vorstellen. Wie dem auch sei, sie hat ihren Job tatsächlich hingeschmissen, nachdem sie mich verlassen hatte. Sie hat jemanden in Kalifornien kennen gelernt und lebt jetzt dort mit ihm. Kümmert sich ums Abendessen, bringt seine Anzüge in die Reinigung – so was eben.«
» Ihre Anzüge könnten auch mal eine Reinigung vertragen.«
Er sah an sich hinab. Sein Armel hatte bei der letzten Obduktion ein bisschen Blut abgekriegt. »Die regelmäßig reinigen zu lassen, wäre ein Ganztagsjob.«
»Vielleicht könnten wir Mycroft darauf abrichten«, sagte sie.
Er sah sie kühl an. »Ich mach jetzt eine Flasche Pellegrino auf und nehme das Fertiggericht aus dem Ofen. Ich hoffe, Sie mögen Souvlaki.«
Sie merkte auf einmal, dass sie halb verhungert war. Die Verletzung, die unheimliche Bedrohung in Turner, Mycrofts Angst, die Gerüche der Obduktion: Im Beisein des Mannes, der dafür verantwortlich war, trat das alles in den Hintergrund. Essen, dann schlafen. Zur Abwechslung mal ein ganz normaler Abend. Ein warmes Gefühl breitete sich in ihr aus, ein Gefühl, das sie an ihre Kindheit erinnerte. Ich fühl mich bei ihm geborgen.
Ihr Handy klingelte. Sie hatte es auf dem Tisch liegen lassen, also humpelte sie hinüber, um dranzugehen.
Es war ihre besorgte Mutter, die aus New Jersey anrief. Kenneth hatte ihr Mycroft gebracht und erzählt, was passiert war, und natürlich würde sie sich um den Hund kümmern.
Manny bemerkte, dass Jake mit dem Wein zurückgekommen war und jetzt in der Tür stand und zuhörte. »Nein, ich muss mich nicht übergeben«, beantwortete sie eine Frage ihrer Mutter. »Ja, ich bin bei einem Doktor. Ich übernachte hier.«
Jake reichte ihr ein Glas Wein. »Natürlich nicht!«, sagte sie mit Nachdruck. Er sah, dass sie rot wurde.
Manny senkte die Stimme. »Mommy, bitte, ich kann jetzt nicht über ihn reden. Ich ruf dich gleich morgen früh an. Gib Mycroft ein Gute-Nacht-Küsschen von mir und sag ihm, dass ich ihn lieb hab. Ich dich auch, Mommy. Schlaf schön. Deiner Tochter geht’s gut.« Sie legte auf.
»Mommy?« Mehr sagte Jake nicht.
Sie hätte ihn umbringen können.
18
S ie schlief in einem Gästezimmer und wachte vor Schmerzen immer wieder auf, wollte aber keine von den Tabletten mehr nehmen, die Jake ihr auf den Nachttisch gelegt hatte. Als sie am nächsten Morgen in den Sachen, die er für sie rausgelegt hatte – Freizeithose und Arbeitshemd –, nach unten in die Küche humpelte, war ihr Herz beschwingt. Sein Gesichtsausdruck war ernst.
»Wie fühlen Sie sich?«, fragte er. Er goss ihr Kaffee in eine große Tasse, an der aufgemalte rote Blutstropfen herabrannen. Quer darüber stand in fetter schwarzer Schrift:
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