Skandal im Königshaus Meisterspionin Mary Quinn 3
ungehalten. »Es entbehrt ja wohl jeglicher Grundlage, dass solch ein Schurke den zukünftigen König in einer dämmrigen Spelunke erkennt – und die Verwegenheit besitzt, ihn anzugreifen. Es muss sich hier wohl um einen absurden Irrtum handeln.«
»Der Prinz von Wales ist eine öffentliche Person«, hielt ihr Prinz Albert entgegen. »Sein Porträt erscheint regelmäßig in der Presse. So wie dich deine Untertanen erkennen, meine Liebe, erkennen sie auch deinen Thronfolger.«
»Schon möglich«, sagte die Königin. »Und ich stimme zu, dass es sich um einen ernsten Angriff handelte. Aber wenn wir diese Richtung verfolgen, muss sich der Prinz von Wales einer öffentlichen Untersuchung stellen, die er kaum wird ertragen können. Der Skandal, ganz zu schweigen vom Schrecken einer Gerichtsverhandlung – gute Güte, was, wenn er in den Zeugenstand muss? Denkt nur daran, was die Leute sagen werden – was die Zeitungen drucken könnten! Das kann ich nicht zulassen!«
Wieder entstand ein ausgedehntes Schweigen. Vielleicht bildete es sich Mary nur ein, die ja hinter dem Vorhang nichts sehen konnte, aber diese Pausewar von einer anderen Beschaffenheit. Es war eine Art stummer Verhandlung zwischen Mann und Frau. Mary hatte so etwas bei dem königlichen Paar zuvor schon erlebt – der Austausch von Argumenten in ihren Blicken. Eine Art von Kommunikation, die nur einem lang verheirateten Paar vorbehalten war.
Nach einem kurzen Moment wandte sich Ihre Majestät wieder an den Kommissar. »Der Prinzgemahl und ich werden im Laufe des Tages, sobald Unser Sohn erwacht ist und sich beruhigt hat, mit ihm reden. Wir werden den Prinzen von Wales bitten, seine Eindrücke von den Ereignissen der Nacht zu wiederholen. Sobald Wir eine Übereinkunft erreicht haben, werden Wir Sie wissen lassen, wie wir vorzugehen gedenken.«
Eine Pause. Dann, sehr zögerlich: »Wie Sie wünschen, Euer Majestät.«
Das Gespräch war bis auf die Förmlichkeiten beendet. Mary stieß langsam und stumm den Atem aus. Ihr war bis zu diesem Moment nicht bewusst gewesen, dass sie kaum Luft zu holen gewagt hatte. Sie hob die Schultern, um ihre angespannten Muskeln zu lockern. Draußen vor den Türen dieses Raumes begann der Tag. Bald würde die Dienerschaft aufstehen. Es war knapp, aber wahrscheinlich hatte sie noch genug Zeit, um in ihre Kammer zurückzukehren, ehe Amy aufwachte.
»Einen Augenblick noch, Kommissar«, brachen die Worte der Königin in ihre Überlegungen ein.»Wie war der Name dieses Opiumsüchtigen – des Mörders?«
»Es ist ein chinesischer Name, Euer Majestät. Etwas schwierig für uns, selbst wenn es sein richtiger Name war.«
»Versuchen Sie es.«
Eine Pause. Dann stockend: »Er heißt Lang.«
Mary hielt den Atem an. Das Blut in ihren Adern schien langsam zu stocken und dann plötzlich wie im Delirium weiterzupulsieren.
Töricht
, schalt sie sich.
Reiner Zufall.
Lang war ein häufig auftretender chinesischer Nachname. Was machte es schon, dass er auch ihr Name war – ihr richtiger Name, den sie abgelegt hatte als Teil ihrer verlorenen Kindheit.
»Aber es gibt ja auch Engländer, die Lang heißen.« Prinz Albert sprach den Namen hart und mit hörbarem g aus, sodass er teutonisch klang, nicht singend wie im Chinesischen. »Könnte auch ein deutscher Name sein.«
»Es sind die anderen Teile des Namens, die Schwierigkeiten bereiten, Euer Hoheit«, sagte Blake entschuldigend. »Seine Taufnamen – wenn ich auch bezweifle, dass er getauft wurde. Es klingt wie Dschin Hai.«
Mary wankte und versuchte verzweifelt, an der Fensterbank das Gleichgewicht zu halten, denn die beiden Silben ließen sie fast ohnmächtig werden.
»Dschin was?«
»Es wird J-I-N H-A-I geschrieben, Euer Majestät. Jin Hai Lang.«
Der Puls dröhnte ihr so laut in den Ohren, dass sie den knappen Dank und die Verabschiedung der Königin kaum hören konnte.
Jin Hai Lang, ein Laskar aus Limehouse.
Lang Jin Hai in der chinesischen Reihenfolge.
Ein Opiumsüchtiger.
Ein Mörder.
Und falls sie nicht völlig von Sinnen war …
Ihr Vater.
Mary stolperte hinauf in ihre Dachkammer, zog die Schuhe aus und kletterte wieder unter ihre Bettdecke. Aus ihrem schmerzenden Kopf drang ein monotoner Rhythmus hämmernd in ihr Bewusstsein: Lang Jin Hai. Lang Jin Hai. Der Name ihres Vaters – eines der wenigen Dinge, die sie noch von ihm wusste.
Er war verschollen – vermisst auf See, als sie ein kleines Kind war –, seit er alles auf eine
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