Skandal im Königshaus Meisterspionin Mary Quinn 3
flüchten und um Hilfe ru fen ; andere behaupten, dass er sich lange verteidigte, bis er schließlich der schieren Übermacht der Angreifer erlag. Es gibt also keine klare Version und wenig Übereinstimmungen, außer dass Beaulieu-Buckworth ein wilder junger Bursche war, bei dem es niemanden wundert, dass er unter derart skandalösen Umständen ums Leben kam.«
»Aber was sagt man über seinen Begleiter?«, drängte Mary.
James schüttelte den Kopf. »In den meisten Versionen kommt nur er vor; in einigen war er mit einer Bande junger Wilder zusammen, die entweder flohen oder ihm zu Hilfe kamen. In der einen oder anderen Geschichte taucht auch der Prinz von Wales auf, aber wann tut er das nicht? Ich glaube, dass diese Version ironischerweise weitgehend ignoriert wird, weil es immer Geschichten um die königliche Familie gibt. Obwohl sie so eine gesittete Familie sind, werden die abenteuerlichsten Gerüchte über sie verbreitet.«
»Die Vorgänger der Königin – ihre Onkel und ihrGroßvater – waren ein reicher Quell für Klatsch, und meistens war etwas Wahres dran«, erinnerte ihn Mary. »Vielleicht ist es einfach Gewohnheit.«
»Oder Wunschdenken.«
»Aber deiner Meinung nach glaubt niemand ernsthaft, dass der Prinz von Wales beteiligt war?«
»Nein.«
Mary war beeindruckt. Obwohl der Einfluss Ihrer Majestät über Scotland Yard gänzlich inoffiziell war, war es doch faszinierend zu erleben, wie strikt ihre Anordnung befolgt wurde. »Dann kennen nur die königliche Familie, zwei hohe Beamte von Scotland Yard und du und ich die Wahrheit.«
»Sollte ich beeindruckt sein?«, murrte James. »Der Prinz von Wales sollte aussagen und sich nicht hinter seinem Titel verstecken. Er ist der Einzige, der die Wahrheit um Beaulieu-Buckworths Tod kennt. So bedauerlich dessen Leben auch war, er hat dennoch Gerechtigkeit verdient.«
Ah ja – James der Gerechte. Sein unumstößlicher Gerechtigkeitssinn war Teil des Problems zwischen ihnen, und sie wurde etwas hitzig, als sie daran erinnert wurde. »Bisher kann er sich an nichts erinnern. Er war sturzbetrunken und seine Eindrücke sind völlig durcheinander.«
James verzog verächtlich den Mund. »Und das ist der zukünftige König von England: benebelt von Alkohol, während seine sogenannten Freunde von opiumsüchtigen ausländischen Kriminellen erstochen werden.«
»Wir können nicht alle so perfekt und moralisch integer sein wie du«, fuhr sie ihn an.
»Aber bestimmt sollte sich der Prinz mehr anstrengen als andere. Und warum siehst du überhaupt so großzügig über seine Unzulänglichkeiten hinweg? Sag bloß nicht, dass du ihn verteidigst!«
Sie schwieg. Wenn James dachte, dass es ihr um Prinz Bertie ging, umso besser. Denn wie hätte sie ihr instinktives, leidenschaftliches Einstehen für einen Mörder erklären sollen?
Er starrte sie einen Augenblick an, dann hob er seine Laterne und leuchtete ihr direkt ins Gesicht. »Doch, ich glaube, das tust du: Du versuchst, den Prinzen von Wales zu verteidigen!« Er sah sie ungläubig an – mit einer Fassungslosigkeit, die rasch einer finsteren Miene wich. »Ich hoffe, du entwickelst keine zarten Gefühle für diesen elenden Wicht.«
»Was?« Allein die Vorstellung erschreckte sie.
Er beugte sich näher zu ihr, als wolle er ihre Gedanken lesen.
Sie schlug die Laterne fort. »Hör auf, mich so zu bedrängen und finster anzustarren.«
»So ist es aber, nicht? Ein bisschen zumindest. Nicht, weil er draufgängerisch und reich und blaublütig ist, sondern weil er so ein winselndes Hundebaby ist.« Er machte ein angewidertes Geräusch. »Typisch.«
»Typisch
wofür
?« Allmählich war sie wirklich wütend.
»Eine typische weichherzige, romantisierende, bemutterndeFrau. Er ist deine Zeit oder dein Herz nicht wert, Mary. Er ist ein inzüchtiger, überverwöhnter, undisziplinierter Waschlappen. Aber ich nehme an, wenn ich das sage, bedauerst du ihn nur noch mehr.« Er schien jetzt aufgebracht – was eine völlig unangemessene Gefühlsaufwallung war.
Ihre hingegen kam ihr ganz gerechtfertigt vor. »Erstens«, sagte sie und stieß ihn zurück, »bin ich weder romantisierend noch bemutternd; das solltest gerade du wissen. Und zweitens hast du meine – meine Haltung gegenüber dem Prinzen von Wales völlig falsch gedeutet.«
Er wirkte erstaunt. »Tatsächlich?«
»Natürlich! Als ob es im Entferntesten angemessen oder wahrscheinlich wäre, dass ich so fühle! Glaubst du, dass mich geistige
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