Skandal um Lady Amelie
Wird es so gehandhabt hier bei Ihnen? Nun, es spart natürlich Lebensmittel! Meine Methode rettet Leben. Dafür muss ich mich wohl nicht entschuldigen! Und der Skandal? Der wird bald genug bekannt, nicht wahr? Also warnen Sie besser Ihren Bruder, dass er sich meiner Nichte fernhalten soll. Sie wird letztendlich doch in Buxton besser aufgehoben sein.“
„Sie vergessen etwas.“
„Was?“
„Niemand hier weiß etwas über Ihre Vergangenheit, allgemein bekannt ist jedoch inzwischen, was Ihr geschwätziger Freund Hurst in der Poststation ausgeplappert hat! Heute Morgen erhielt ich schon zwei Einladungen für mich und Mylady. Für Sie, genauer gesagt. Und Sie irren sich gewaltig, wenn Sie glauben …“, fuhr er fort, ehe sie empört aufschreien konnte, „… dass ich den Namen meiner zukünftigen Gemahlin mit einem Gerichtsfall verbunden sehen und hören möchte, was meine Mutter dazu zu sagen hat!“
„Sie haben behauptet, Sie ließen sich von Ihren Eltern nicht beeinflussen.“
„Ich nicht, doch das hindert die Gesellschaft nicht, sich von ihnen vorschrieben zu lassen, was sie zu denken hat. Wenn es dazu kommt, wird Miss Chester in eine ziemlich ungewisse Zukunft schauen. Meine Mutter hat sich damit abgefunden, dass ihre Söhne Mätressen halten, doch weder sie noch mein Vater würden eine Schwiegertochter willkommen heißen, die sich strafbar gemacht hat.“
Verwirrt schüttelte Amelie den Kopf. „Berichtigen Sie mich, wenn nötig. Sie meinen also, ich sollte dem Magistrat eine Erklärung abgeben? Wird das erwartet? Eine Entschuldigung? Das kommt nicht infrage!“ Zornig schritt sie im Zimmer hin und her und versetzte im Vorbeigehen dem Retikül einen heftigen Stoß.
„Seien Sie friedlich, bei allen Heiligen!“, grollte er. „Es wird wahrhaftig Zeit, dass man Sie zügelt, ehe Sie die nächste unbezwingbare Hürde in Angriff nehmen!“ Mit zwei großen Schritten hatte er sie eingeholt, und als sie sich ihm kämpferisch zuwandte, umfing er sie und hob sie vom Boden auf, anstatt sich auf ein unwürdiges Gerangel einzulassen. Mit drei weiteren Schritten hatte er sie zum Sofa getragen, setzte sie dort ab und ließ sich dicht neben ihr nieder, während er ihre Handgelenke fest umklammert hielt.
„Nein“, rief sie grimmig. „Nein! Nein!“
Sie hätte mehr zu sagen gehabt, doch obwohl sie langsam ahnte, was er vorhatte, war sie so sehr auf Abwehr aus, dass sie nur noch kurz aufschreien konnte, ehe sein Mund sie zum Schweigen brachte und jeden Gedanken an Worte oder Etikette ausblendete. Der Druck seines Körpers, seine Hände in ihrem Haar und seine Arme, die sie umschlangen, seine suchenden Lippen hielten sie wie in einem Bann. Sie spürte, wie seine frühere behutsame Sanftheit einem neuen Drängen wich, so als ob er seine Worte, sie brauche Führung, unterstreichen wollte. All die ungewissen Gefühle, die sie seit gestern insgeheim beschäftigten, wichen einem Glühen, das tief in ihrem Innern ein schmerzhaft ausstrahlendes Feuer entflammte.
Verwirrt und erregt von der vorangegangenen Auseinandersetzung und wie berauscht von seinem lockenden Mund, hörte sie die Stimme ihres Gewissens nicht mehr, ihr Widerstand erlahmte, und zögernd öffnete sie endlich ihre Lippen, tastend, fragend, mehr erwartend. Als er den Kuss vertiefte, war sie, gefangen von seiner berauschenden Nähe, kurz davor, sich zu ergeben.
Doch ihre tief verankerten Ängste waren stärker, übermannten sie und unterdrückten, wonach ihr Körper verlangte. Nicht Anstand oder Zurückhaltung, sondern die nackte Furcht vor unbeschreiblichen Folgen brachte sie dazu, ihn abzuwehren und ihm ihre Lippen zu entziehen. Keuchend rief sie: „Nein … nein! Hören Sie auf! Ich kann nicht! Lassen Sie mich los, Mylord. Das also wollen Sie! Hätten Sie gefragt, hätte ich Ihnen gleich sagen können, dass Sie sich nicht zu bemühen brauchen.“
Falls sie jedoch erwartete, dass er sofort zerknirscht von ihr ablassen würde, hatte sie ihn verkannt, denn wie er schon erwähnt hatte, war er nicht der Mann, der wegen eines Kusses um Verzeihung bat. Zwar wich er ein wenig zurück, fasste aber schnell ihre Handgelenke, damit sie nicht entwischen konnte.
„Lassen Sie mich los, Mylord“, wiederholte sie. „Sie müssen sofort gehen. Bitte!“
„Gut, gut, meine Schöne, ich habe Sie verstimmt, aber ich gehe erst, wenn wir diese Sache geklärt haben.“
„Zu Ihrem Vorteil selbstverständlich.“
„Selbstverständlich. Nun …“, er lächelte beinahe,
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