Skandal um Lady Amelie
Mühsam gegen ihre Tränen kämpfend, sank sie auf einem Sofa nieder. „Den Rest können Sie sich ausmalen … Gerede, der Neid einiger wegen meiner, wie sie fanden, bevorzugten Lebensumstände. Ich glaube, sie hätten es leichter hinnehmen können, wenn ich mittellos zurückgeblieben wäre. Ich war dem Klatsch hilflos ausgeliefert. Warum betrübt sich eine Frau von zweiundzwanzig so sehr über den Tod des um vieles älteren Gatten? Warum glaubt sie, dessen verwitwetem jüngeren Bruder so viel Dank zu schulden? Der Bruder, der im Übrigen einer der ganz wenigen war, die mich wirklich unterstützten. In einer solchen Situation lernt man schnell die wahren Freunde kennen. Die Lehre daraus? Man duelliere sich nie, außer man ist bereit, mehr als seine Ehre zu verlieren.“
„Nun, für mich kommt der Rat zu spät – allerdings heißt mein Prinzip auch gewinnen.“
Sie sah ihn an, musterte seine langen Beine, die breiten Schultern und kräftigen Hände, und wie er da lässig, doch mit verhaltener Kraft, in seinem Sessel lehnte, wurde sie sich erneut seiner beeindruckend muskulösen Gestalt bewusst. Amelie konnte sich sehr gut vorstellen, welch prachtvolle Figur er bei jeder körperlichen Betätigung machte. Beim Tanz hatte sie ihn ja schon erlebt. Wie anders bewegte er sich als Josiah, der eher durch seinen lebhaften Geist als sein körperliches Geschick hervorgestochen war. Wie auch immer, er hatte sie gut versorgt, und vor allem war ihm, im Gegensatz zu manchem Mann, Mitgefühl nicht fremd gewesen.
„Soweit ich weiß, hatten Sie Ihre Eltern erst ein Jahr zuvor verloren? Kam das ebenso plötzlich?“
„Ein Kutschenunfall in der Schweiz. Hätten sie noch gelebt, wäre ich wahrscheinlich zu ihnen zurückgekehrt. Doch das Anwesen fiel an meinen Bruder, dessen Gattin kaum abwarten konnte, es in Besitz zu nehmen. Zu meinem Glück erlaubte mein Schwager Stephen mir, in meinem Heim zu bleiben, bis ich dieses Haus hier erworben hatte. Aber das wissen Sie vermutlich.“ Sie warf ihm einen unfreundlichen Blick zu, dem er jedoch nur mit einem Senken der Lider begegnete. Ja, man hatte gemunkelt, dass die Beziehung zwischen Schwager und Schwägerin möglicherweise nicht nur platonisch war.
„Meine Informationen besagen, dass Sie in Buxton hoch angesehen waren.“
„In der Tat? Wie schade, dass all die wohlmeinenden Leute, die so oft und gern die Gastfreundschaft meines Gatten genossen, seiner Witwe nicht ebensolches Wohlwollen entgegenbrachten, als sie dessen besonders bedurfte; jetzt kommt das ein bisschen spät, finden Sie nicht auch?“
„Mylady, ich biete Ihnen meine Hilfe an, wenn Sie möchten. Sie sind in einer schwierigen Lage, doch das ist nicht unabänderlich.“
Geängstigt von dem plötzlich so tröstenden Ton, sprang Amelie auf. „Ach, kommen Sie, Mylord, Sie sind doch nicht hier, um mir zu helfen! Geben Sie zu, dass Sie, nach allem, was Sie herausgefunden haben, kaum abwarten können, mich zu vertreiben! Ein Emporkömmling aus dem Norden mit Verbindungen zu Industrie und Handel in Richmond ? Schnell weg mit ihr! Ich kann Ihre Eltern förmlich hören, Sir! Nun haben beide etwas an mir auszusetzen gefunden! Und, haben Sie ihnen schon berichtet, Mylord?“
„Beruhigen Sie sich“, erwiderte er. Er stand auf und schlenderte gemächlich zum Kamin, lehnte sich mit einem Arm auf den Sims und stemmte einen Fuß gegen den Kaminvorsatz. Mit Muße betrachtete er ihre anmutige, jetzt in Wachsamkeit erstarrte Gestalt, den herausfordernd erhobenen Kopf auf dem anmutigen Hals, die finster dreinblickenden Augen. „Ich habe ihnen nichts gesagt, und Todd wird sich hüten, ohne meine Erlaubnis etwas auszuplaudern. Doch natürlich erwartet mein Vater ein Ergebnis meiner Untersuchung, genau wie der Magistrat. Und selbstredend wären Sie in Schwierigkeiten, wenn Ihre Aktivitäten bekannt werden würden. Ein solcher Skandal wäre nicht hilfreich.“
„Ganz zu schweigen von der Samariterspielerei!“, sagte sie bissig.
„Nun, in Buxton, wo man Sie kannte, mochte das angehen. Aber hier kriecht man nicht nachts mit einer vollen Börse herum und besticht die Wärter“, gab er ebenso bissig zurück. „Jeder sollte das wissen, doch Ihr Hirn scheint einzig von weiblichen Instinkten gesteuert, und nun sehen Sie, wohin es Sie gebracht hat!“
„Aber es blieb doch keine Zeit!“, rief sie wütend. „Bis sich diese alten, vertrottelten Burschen überhaupt versammelt hätten, wären ein paar Todesfälle zu beklagen gewesen!
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