Skandal um Lady Amelie
er und lachte. „Ich hätte es sehr seltsam gefunden, wenn Sie nicht zurückgeschlagen hätten!“
Ohne ihn anzusehen, sagte sie: „Morgen wird Abendrobe erwartet?“
„Ja, aber nicht zu großartig. Die Kutsche wird um fünf bei Ihnen vorfahren.“
Amelie nickte nur.
Er wandte sich zum Gehen, kam aber noch einmal zu ihr zurück. Zart hob er mit einem Finger ihr Kinn an und drückte einen liebvollen Kuss auf ihre Lippen. „Ruhen Sie ein wenig, Madam. Der Tag war anstrengend für Sie.“
Natürlich ruhte sie nicht; unter dem Ansturm wirrer Gedanken hätte sie kein Auge schließen können. Außerdem konnte sie nicht vergessen, wie ihr Herz geschmerzt und gleichzeitig gejubelt hatte, als sie diese winzigen, weichen Babys im Arm hielt. Eine so tiefe Leere war in ihr zurückgeblieben, wie sie nur eine Frau nachempfinden konnte, die ein ebenso leidenschaftliches, verzehrendes, unbefriedigtes Verlangen nach einem eigenen Kind hegte. Welch eine Ironie, dass die Umstände, unter denen dieses Sehnen nun erfüllt werden könnte, eben das Problem beinhalteten, das sie stets so mühsam bei anderen Frauen zu richten sich bemüht hatte. Nicht dass sie je im Arbeitshaus landen würde, allerdings hatte er auch mit keinem Wort erwähnt, dass er bereit wäre, im gegebenen Falle die Verantwortung für ein Kind zu teilen.
Gegen Abend erschien Millie, wiederhergestellt, wenn auch noch blass, um ihren neuen Posten anzutreten. Beinahe sprachlos vor Dankbarkeit küsste die ehemalige Gehilfin der Schneiderin die Hand ihrer neuen Herrin, als sie nicht nur ein eigenes Zimmerchen beziehen durfte, sondern auch hörte, dass ihr ordentliche Kleidung, gute Mahlzeiten und regelmäßige Arbeitszeit zugestanden wurden, ganz zu schweigen von dem für sie märchenhaften Gehalt von sechs Guineen im Jahr. Völlig überwältigt war sie, die wenig genug Freundlichkeit in ihrem Leben empfangen hatte, jedoch von Mrs. Braithwaites herzlichem Willkommenslächeln.
Da Millie an den neuen Roben, die inzwischen von der Schneiderin geschickt worden waren, mitgearbeitet hatte, war sie natürlich die ideale Kammerzofe, denn sie wusste, wie die Gewänder drapiert wurden und wo eventuelle Änderungen notwendig waren. Nach einem Bad, einer neuen, einer Zofe gemäßen Ausstaffierung und einer warmen Mahlzeit stürzte sie sich mit Eifer und viel Fachwissen auf Caterina, machte diverse Vorschläge zur Ausschmückung der Kleider und erprobte an ihr verschiedene modische Frisuren.
Derweilen musterte Amelie oben in ihrem Arbeitsraum eine ganze Reihe Visitenkarten, die sie vor sich auf dem Tisch ausgebreitet hatte, die meisten von den besten Familien Richmonds, einige von Herren, mit denen sie auf dem Ball im Castle Inn getanzt hatte, und einige von Leuten, deren Namen ihr noch nicht bekannt waren, die aber wohl sie kennenzulernen wünschten. Das war äußerst erfreulich.
Sie griff zu Papier und Feder und setzte einen Brief an den Bruder ihres verstorbenen Mannes auf.
Lieber, sehr geschätzter Schwager, seit meinem letzten Brief ist so viel geschehen, dass ich kaum weiß, wo ich beginnen soll …
Dennoch brachte sie, erst einmal im Fluss, einen annehmbaren Bericht zustande, wobei sie jedoch den ungehörigen Antrag Lord Elyots, seine Vertraulichkeiten und ihre eigene verwirrende Reaktion darauf wohlweislich ausließ. Stephen Chester, Caterinas verwitweter Vater, war Amelie eine wahre, wenn auch nicht ganz unvoreingenommene Stütze gewesen, weswegen sie ihr Verhältnis zu Lord Elyot auf keinen Fall vor ihm ausbreiten wollte. Sie erwähnte also nur, dass sie um Caterinas willen den Verkehr mit ihm wie auch seinem Bruder duldete. Nicht sonderlich bewandert in der Kunst der Verschleierung, zog sie es vor, ihrem Schwager von dem Besuch Hursts zu berichten, wobei sie die Rolle Lord Elyots als Ritter in schimmernder Rüstung gebührend hervorhob. „Ich habe seine Hilfe ebenso dankbar angenommen wie einst die deine, lieber Schwager“, schrieb sie. Sie hoffte sehr, seine Gefühle nicht zu verletzen, denn sie wusste, dass er sich eine tiefere Neigung erwartete – in seinen Augen die ideale Lösung. Nicht jedoch für Amelie, die gleich zwei Einwände gegen eine solche Verbindung hatte; der eine besagte, dass sie ihn nicht liebte und der andere, dass sie ihn gewiss nie lieben würde.
Das Dorf Mortlake, eine hübsche, saubere Ansiedlung, lag nordöstlich von Richmond jenseits des königlichen Parks in einer Biegung der Themse. Leider hatte Amelie den Ort erst bei ihren
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