Skandal
Ehrensache.«
»Gütiger Gott. Aber wen hat er herausgefordert?« fragte Emily nach.
»Einen ganz ausgefuchsten Kerl. Es heißt, daß der Mann schon zwei andere Duelle ausgetragen und sie beide gewonnen hat. Bei beiden Anlässen hat er seinen Gegner ernstlich verwundet, aber beide haben es überlebt, und daher ist es nicht zu einem Skandal gekommen. Die Sache ist die, Em, daß keine Garantie dafür besteht, daß Grayley Charles nicht töten wird. Es heißt, die beiden anderen hätten einfach Glück gehabt und nur deshalb überlebt. Der Mann ist ein kaltblütiger Schütze.«
»Ich kann es einfach nicht glauben«, flüsterte Emily.
Devlin schaute auf sie herunter. »Sieh mal, Em, ich weiß, daß du jetzt, nachdem du mit Blade verheiratet bist, keinen Umgang mehr mit deiner Familie haben sollst, aber du bist unsere Schwester, verdammt noch mal. Und ich dachte mir, du wirst dich doch sicher von Charles verabschieden wollen.«
Emily zog die Schultern zurück. »Ich habe die Absicht, weit mehr zu tun, nicht nur, mich von ihm zu verabschieden. Ich habe die Absicht, diesem Blödsinn Einhalt zu gebieten. Bring mich sofort zu ihm, Dev.« Sie machte kehrt und ging auf die Kutsche zu.
»Vergiß es, Em, es läßt sich nichts dagegen tun.« Devlin eilte hinter ihr her. »Eine Ehrensache, wie ich schon sagte.«
»Unsinn. Das ist die reinste Idiotie.« Emily stieg in die Kutsche, und nach ihr stiegen Lizzie und ihr Bruder ein. Sie war sich darüber im klaren, daß ihre Zofe und der wüst aussehende George Devlin beide mißbilligend musterten, doch sie ignorierte diese Blicke. »Gib dem Kutscher Anweisungen, wie er eure Unterkunft erreicht«, sagte sie mit fester Stimme.
Devlin hob die Klappe im Kutschendach an und erteilte eilig Anweisungen. Dann ließ er sich auf den Sitz gegenüber von Emily und Lizzie fallen. »Verflixt und zugenäht. Ich hoffe nur, daß ich hier nichts falsch mache.«
»Natürlich machst du nichts falsch.« Emily runzelte die Stirn. »Wo ist Papa?«
»Ich bin heute morgen gleich als erstes zu ihm gegangen, aber er war nicht da. Man hat mir gesagt, er sei die ganze Woche fort. Sei mit Freunden aufs Land gefahren. Hätte an den Spieltischen eine kleine Pechsträhne gehabt. Die Zeit reicht nicht, um ihn zu finden und zurückzuholen.« Devlin seufzte tief und mißmutig. »Selbst wenn wir ihn ausfindig machen könnten, würde das ja doch nichts nutzen.«
Emily machte den Mund auf, um eine weitere Frage zu stellen, doch sie sah den warnenden Blick in Devlins Augen und sagte nichts. Ihr wurde klar, daß ihr Bruder sie wortlos ermahnte, Lizzie dürfe nicht erfahren, was hier vorging. Emily lehnte sich zurück und wartete mit glühender Ungeduld darauf, daß die Kutsche endlich die Unterkunft erreichte, die sich Charles und Devlin gesucht hatten.
Die Tür wurde geöffnet, sowie das Fahrzeug angehalten hatte. George sah bedrohlicher denn je aus. »Ich bitte um Verzeihung, Ma’am, aber sind Sie ganz sicher, daß Sie hier abgesetzt werden wollen?«
Emily schaute zu ihrem Bruder rüber. »Ist das die richtige Adresse, Dev?«
»Ja.« Er nahm seinen Spazierstock und sprang hinter ihr auf die 264
Straße. Dann benutzte er den Stock, um einmal an den Verschlag zu klopfen, in dem der Kutscher saß. »Sie können hier auf Ihre Herrin warten. Es wird nicht lange dauern.«
»Ja, Sir.« Aber der Kutscher schien genauso unschlüssig wie George zu sein.
Emily schenkte den bösen Blicken, mit denen ihre Angestellten sie bedachten, keinerlei Beachtung, als sie am Arm ihres Bruders die Stufen hinaufstieg.
Im nächsten Moment betrat sie die Räume, die die Zwillinge gemeinsam bewohnten. Sie sah sich neugierig in dem komfortablen männlichen Quartier um. Sie wußte, daß ihre Brüder in der Stadt das Leben von sorglosen Junggesellen führten, aber sie hatte ihre Unterkünfte nie mit eigenen Augen gesehen.
Aus dem Erkerfenster hatte man einen schönen Ausblick auf den Park. Zwei Schreibtische waren mit Stapeln aller möglichen Papiere bedeckt, es gab einen Beistelltisch, auf dem die harten Getränke standen, und zwei große lederne Ohrensessel standen bereit.
Charles Faringdon hatte es sich auf einem der Sessel bequem gemacht. Er leerte stetig und systematisch eine Flasche, die neben ihm stand. Seine blauen Augen kniffen sich vor Erstaunen zusammen, als seine Schwester und sein Bruder eintraten.
»Was, zum Teufel, hat sie hier zu suchen, Dev?« Charles knallte sein Glas auf den Tisch.
»Was für eine blöde Frage,
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