Skandal
einer Feder in ein ledereingebundenes Buch.
Simon ging auf, daß ein romantisches Geschöpf wie Emily dazu bestimmt war, ein Tagebuch zu führen. Wenn ja, dann bestand kein Zweifel daran, daß er in dem Eintrag des heutigen Abends eine große Rolle spielte.
Aber vielleicht verfaßte sie auch Stanzen für Die Geheimnisvolle Dame.
Er beobachtete sie ein paar Minuten lang und sagte sich, er solle fortgehen. Aber er wandte sich nicht ab und machte sich auch nicht durch den Wald auf den Rückweg zu den Gillinghams, bis Emily ihre Schreibfeder endlich hinlegte. Er sah ihr dabei zu, wie sie die Hände hob, um die Lampen zu löschen. Dann nahm sie eine Kerze und verließ den Raum.
Es wurde dunkel in der Bibliothek.
Simon stellte fest, daß er immer noch dastand und in das tiefschwarze Zimmer starrte. Schließlich zwang er sich, kehrtzumachen und den Rückweg zu den Gillinghams einzuschlagen.
Ihm wurde klar, daß er nicht das gesehen hatte, was er vorzufinden erwartet hatte. Der Geist seines Vaters, der die Bibliothek hätte belagern sollen, war von der rotschopfigen grünäugigen Titania verbannt worden, die an dem Schreibtisch gesessen hatte.
Emily schwebte wie auf einer Wolke durch die folgende Woche. Nie waren ihr die Reime so mühelos zugefallen. Von allem, was sie sah oder berührte, wurde sie inspiriert, vor allem von Simon. Und sie bekam den Earl sehr oft zu sehen.
Sie wußte, daß diese spezielle Wolke, auf der sie ihre Höhenflüge unternahm, schon bald in Fetzen gerissen werden würde, und dann würde sie mit einem donnernden Aufprall auf der Erde landen. Aber sie war wild entschlossen, den Flug so lange wie möglich zu genießen. Sie sog ausreichend transzendente Erfahrungen für ein ganzes Leben in sich auf.
Emily war verliebt, und es schien, als träfe ihr Geliebter Vorkehrungen, im Lauf der Woche überall dort aufzutauchen, wo sie war.
Sie begegnete Simon am Samstag abend bei den Hathersages zum Kartenspiel. Er war ihr Partner beim Whist, und sie gewannen. Selbstverständlich. Wie hätte ein solches Gespann auch verlieren können? hob Emily hinterher hervor.
Er erschien am Montag nachmittag zum Hauskonzert der Stewards. Emily tauschte ein verstohlenes Lächeln mit ihm aus, als die jüngste Tochter der Stewards in einem Divertimento von Mozart aus dem Takt geriet und den Faden verlor. Gemeinsam klatschten sie nach Beendigung so anhaltend, daß sich das überglückliche Mädchen erbot, noch eine Zugabe zu spielen.
Simon war im Dorf, wenn Emily einkaufen ging. Er achtete stets darauf, sich Zeit zu lassen und mit ihr zu plaudern.
Er schien jedesmal, wenn Emily ausritt, gerade über die Straße zu reiten, die zur St. Clair Hall führte.
Gegen Ende der Woche tauchte Simon aus heiterem Himmel in genau dem Augenblick am Garten der Pfarrei auf, in dem Emily sich von Mrs. Ludlow, der Frau des Geistlichen, verabschiedete. Er ritt den Braunen, den er Lapsung nannte. Er begrüßte Mrs. Ludlow mit gebührender Höflichkeit, stieg ab und redete eine Weile mit beiden Frauen. Schließlich wünschte er den Damen noch einen schönen Tag, schwang sich wieder auf den Sattel und blieb einen Moment lang sitzen. Dabei lächelte er auf Emily herunter.
»Ich verlasse mich darauf, daß Sie mir morgen abend auf dem Ball der Gillinghams einen Tanz reservieren, Miss Faringdon«, sagte er, als er die Zügel des Hengstes straffte.
»Aber sicher, selbstverständlich«, sagte Emily atemlos. Das hieß, daß sie zum ersten Mal miteinander tanzen würden, dachte sie, als sie ihm nachsah, während er fortritt. Sie konnte ihre Aufregung kaum verbergen.
»Meine Güte«, murmelte die Frau des Pfarrers mit einem vielsagenden Blick. »Blade zeigt allerdings deutliches Interesse an Ihnen, junge Frau.«
Emily errötete und machte sich voller Entsetzen bewußt, was Mrs. Ludlow sich gedacht haben mußte. Die Frau des Pfarrers war eine freundliche Person. Zweifellos tat ihr Emily leid, weil alle wußten, daß Blade früher oder später von dem Vorfall erfahren würde und daß das das Ende seines Werbens um Emily war.
»Der Earl hat mich sehr freundlich und aufmerksam behandelt«, sagte Emily matt. Mrs. Ludlows nächste Bemerkung überraschte sie.
»Seine Familie hat früher hier in der Gegend gelebt«, sagte Mrs. Ludlow nachdenklich. »Ich glaube, es ist mehr als zwanzig Jahre her.«
Emily, die eine sachte Warnung erwartet hatte, sie dürfe dem Earl nicht das Gefühl geben, seine Aufmerksamkeiten hätten eine Zukunft, blinzelte erstaunt.
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