Skandalfilme - cineastische Aufreger gestern und heute
US-Produktion (mit internationaler Beteiligung). 2009 gewann er mit dem in Schwarz-Weiß gedrehten, visuell berückenden, seelisch bedrückenden, aber nicht ohne Wärme erzählten Historiendrama D AS WEISSE B AND – E INE DEUTSCHE K INDERGESCHICHTE die «Goldene Palme» von Cannes.
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Hanekes Strategie scheiterte jedoch bereits daran, dass sein Film beim europäischen Feuilleton zwar nicht nur auf harsche Ablehnung stieß, sondern auch viele positive Kritiken erhielt und teilweise als Meisterwerk gefeiert wurde, die Zielgruppe, für die der Film nach Hanekes Aussagen aber eigentlich bestimmt war – nämlich das «englischsprachige Gewaltkonsumentenpublikum» 5 – als deutschsprachige Produktion gar nicht erreichen konnte. Zehn Jahre nach dem Original hoffte Haneke mit dem englischsprachigen Remake F UNNY G AMES U.S. daher, nun endlich dort angekommen zu sein, wo er ursprünglich hin wollte: bei den US-Horrorfans, denen sein Film die Augen öffnen sollte.
Diesmal aber blieb der kalkulierte Skandal aus. Beispielhaft lässt sich hier nachvollziehen, dass Filme, wie Kunstwerke überhaupt, einen Skandal immer nur als Verstoß gegen soziale oder mediale Konventionen auslösen und wie schnell sich diese kulturellen Schmerzgrenzen verschieben können. Vielleicht war das Kinopublikum in den zehn Jahren nach F UNNY G AMES tatsächlich, wie von Haneke befürchtet, noch stärker gegen Gewaltdarstellungen abgestumpft. Möglicherweise aber hatte der Regisseur mit F UNNY G AMES selbst zu dieser Entwicklung beigetragen.
Nur eine Dekade nach dem Original erwies sich F UNNY G AMES U.S. jedenfalls als kaum noch skandalträchtig. Ob diese öffentliche Gelassenheit, wie verschiedentlich zu lesen war, vor allem daher rührte, dass Selbstreflexion in den Medien mittlerweile weit verbreitet war, muss bezweifelt werden. Eher schien das Kino mit seinen Schreckensbildern in den letzten Jahren näher an die Wirklichkeit gerückt. Zynische Gewaltinszenierungen ohne Katharsis waren längst mainstreamtauglich geworden. Hanekes Vision von der Zerstörung der gutbürgerlichen Kernfamilie fiel da nicht mehr aus dem Rahmen.
Christian Buß hat Hanekes gescheiterten Versuch, mit der Neuauflage des Filmes F UNNY G AMES auch ein Remake seines Skandales zu initiieren für Spiegel Online so zusammengefasst: «Paradoxerweise scheitert F UNNY G AMES U.S. also ausgerechnet daran, dass die jüngste Generation der Horror-Regisseure offensiv mit jenem Sadismus spielt, denMichael Haneke zu entlarven versucht. Man heuchelt eben kein Mitleid mehr mit den Opfern. So kühl und so trickreich Hanekes perfektionistisch in Szene gesetzte Gewaltstudie auch daherkommt – im Kontext mit dem enthemmten Horrorkino der Gegenwart wirkt F UNNY G AMES U.S. geradezu nostalgisch.» 6
Keine Mittäterin werden – Leserbrief einer FSK-Veteranin
«Natürlich ist meine Ausgangsposition hoffnungslos, wenn ich mir die Bewertung eines Films anmaße, den ich selbst nicht gesehen habe, sondern nur durch Aussagen des Regisseurs und Kostproben veröffentlichter Meinung abstützen kann. Wie meist bei auffälligen Filmen sind sich die Kritiker auf interessante Weise uneins. Nach der Süddeutschen Zeitung beispielsweise spielt in F UNNY G AMES nicht das Mördertrio mit seinen Opfern, sondern der Regisseur mit den Kinobesuchern, während die Frankfurter Allgemeine den ‹Überwältigungscharakter des Mediums› preist. Streng genommen ist auch nicht der umstrittene Film das ‹Opfer der Begierde› (zur Kritik!), vielmehr ist es die hohe Bewertung des Films durch mir bekannte und geschätzte Filmberater, die ihm das Prädikat sehenswert verpassten. Trotz meines Respekts werden sie mich nicht zum eigenen Augenschein auf den Marsch ins Kino setzen. Mit der Unterschiebung, ‹die Brisanz der Fragen, die Haneke in diesem grausamen Spiel anschneidet nicht ernsthaft zur Kenntnis zu nehmen› ( film-dienst ) werde ich – und hoffentlich auch andere Besuchsverweigerer – leben können. Tröstlich immerhin, nicht durch einen schweren Golfschläger lädiert zu werden, der auf ein Schienbein saust! […] Zwar scheint mir der Disput über zunehmende Gewaltbereitschaft ohne zusätzlichen Aufklärungsbedarf, denn die Fakten ihrer Realität kommen täglich wie frische Semmeln schon auf den Frühstückstisch und gegen Vertrauensseligkeit an der Haustüre hat uns schon Eduard Zimmermann geimpft. Aber Hanekes Warnung vor dreisten Unholden ist, wenn ich die Interpreten richtig verstehe, nur ein
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