Skelett
Jackentasche unter der Ölhaut. In die Ferne konnte er auch ganz gut ohne Brille sehen.
Cardon beschleunigte das Boot nun und steuerte mit hoher Geschwindigkeit hinaus aufs offene Meer. Paula drehte sich um und schaute zurück auf die Stadt, die zusehends kleiner wurde. Von hier draußen konnte sie deutlich das Halbrund aus Kalkstein erkennen, in das Marseille eingebettet zu sein schien. Der helle Stein reflektierte die Sonne so stark, dass es Paula fast in den Augen wehtat.
»Ich werde noch etwas an Fahrt zulegen müssen«, sagte Cardon. »Kann sein, dass die Oran früher als erwartet vor der Île des Oiseaux eintrifft.«
»Ich schätze, dass es dort ungemütlich für uns wird«, sagte Marler, der mit Butler und Nield ebenfalls auf die Brücke gekommen war. »Bestimmt haben sie überall auf der Insel Wachen aufgestellt. Wenn die uns ankommen sehen, gibt es Ärger. Und einen Schusswechsel sollten wir vermeiden, sonst haben wir gleich die ganze Bande am Hals.«
»Und wie wollen Sie die Wachen ausschalten, ohne Lärm zu machen?«, fragte Cardon interessiert.
»Damit«, sagte Marler und zeigte ihm sein Armalite-Gewehr. Paula bemerkt, dass der Lauf der Präzisionswaffe länger als sonst war.
»Das da vorn ist ein äußerst wirksamer Schalldämpfer, den die Eierköpfe im Keller der Park Crescent speziell für dieses Gewehr entwickelt haben«, erklärte Marler. »Ich habe ihn, in eine Spezialfolie eingeschlagen, durch die Sicherheitskontrollen am Eurostar geschmuggelt.«
Sie passierten gerade die Insel Château d’If, und Paula durchlief beim Anblick des kahlen, abweisenden Felseneilands ein leiser Schauder. Sie musste an den Roman von Alexandre Dumas denken und stellte sich vor, wie die Verurteilten in den Kerkern dieser Gefängnisinsel gelitten haben mussten. Tweed, der sich von Cardon ein Fernglas hatte geben lassen, interessierte sich hingegen nur für die Île des Oiseaux, auf die sie jetzt mit zügiger Fahrt auf schnurgeradem Kurs zusteuerten.
Als sie in Hörweite der Insel waren, drosselte Cardon den Motor, bis dieser nur noch ein leises Tuckern von sich gab. Paula konnte jetzt die enge Schlucht, die zum oberen Rand der Steilküste hinaufführte, mit bloßem Auge erkennen. Tweed nahm den Felseinschnitt, der sich irgendwo in schwindelnden Höhen verlor, mithilfe des Fernglases näher in Augenschein.
»Wachen kann ich keine entdecken«, berichtete er. »Aber die könnten sich natürlich hinter den Felsvorsprüngen verstecken, von denen es nicht gerade wenig gibt.«
»Ja, die sind mir von dem Aussichtspunkt aus auch schon aufgefallen«, sagte Paula.
Alle an Bord der Capulet waren in höchster Alarmbereitschaft. Zwar ließ sich keiner etwas anmerken, aber Paula konnte die Spannung, die alle ergriffen hatte, deutlich spüren. Cardon hatte Marler und Butler erklärt, wie sie das Boot mit zwei Tauen sichern mussten, sobald er an einer der natürlichen Felsplattformen längsseits gegangen war.
»Seien Sie vorsichtig, und gehen Sie kein unnötiges Risiko ein«, warnte Tweed seine Leute. Dann zog er seine Walther und sprang an Land.
An der nur selten benutzten Anlegestelle herrschte eine seltsame, fast bedrohliche Stille, die Tweed ganz und gar nicht gefiel. Gefolgt von seinem Team, lief er in gebückter Haltung hinüber zu der Schlucht, deren Boden mit kleinen und großen Felsbrocken übersät war, die ein rasches Vorwärtskommen beträchtlich erschwerten. Auch hier war kein Laut zu hören.
Marler, der die Spitze der kleinen Gruppe bildete, machte sich daran, die steile Schlucht hinaufzusteigen. Mit dem Armalite-Gewehr im Anschlag schaute er dabei vorsichtig hinter jeden Felsvorsprung, der einem möglichen Angreifer Deckung bieten konnte.
Der Pfad, auf dem sie sich langsam nach oben arbeiteten, war teilweise so schmal, dass nur eine Person Platz hatte. Immer wieder blieb Marler stehen und schaute hinter einen Felsen. Das einzige Geräusch war tief unten das Klatschen der Wellen gegen die Plattform, an der sie das Boot festgemacht hatten.
Ohne Zwischenfälle erreichten sie den oberen Rand der Felswand, wo sie vorsichtig zu einer Stelle krochen, von der aus sie einen ungehinderten Blick auf den hinteren Teil der Insel hatten. Was sie dort zu sehen bekamen, verblüffte sie zutiefst.
»Was ist denn da los?«, sagte Paula erstaunt und deutete auf die vielen, in unordentlichen Haufen hingeworfenen Stoffsäcke, die in dem natürlichen Hafen am Fuß der Felswand über den ganzen Kai verstreut lagen.
»Sieht so
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