Skelett
bestiegen hatten, wurden schon die Türen geschlossen, und er fuhr los. Als er die Vorstädte von Marseille hinter sich gelassen hatte, legte er rasch an Geschwindigkeit zu. Zum Glück fanden sie wieder ein leeres Abteil erster Klasse. Paula und Tweed machten es sich darin gemütlich, während die anderen ihre Posten im Gang bezogen.
Paula schloss die Augen und sah noch einmal das blaue Meer vor sich, das weite Halbrund aus hellem Kalkstein, das die Stadt Marseille umgab, und den dreieckigen Umriss der ebenfalls aus Kalkstein bestehenden Île des Oiseaux. Irgendwie hatte sie das Gefühl, die warmen Sonnenstrahlen immer noch auf der Haut zu spüren.
»Danke noch mal, dass Sie auf der Insel so besonnen reagiert haben«, sagte Tweed mit leiser Stimme und legte den Arm um sie. »Sie haben uns das Leben gerettet.«
»Wenn Butler mir nicht die Handgranate zugesteckt hätte, wäre mir das nicht möglich gewesen«, sagte Paula.
»Ist ja noch mal gut gegangen«, sagte Tweed nachdenklich. »Jetzt bin ich froh, dass die Reise zurück nach Hause geht.«
»Haben Sie denn erfahren, was Sie wissen wollten?«, fragte Paula.
»Ja. Jetzt weiß ich, dass die Oran die Straße von Gibraltar ansteuert. Das bedeutet, dass sie in den Atlantik will. Und ich bin mir sicher, dass sie Kurs auf Nordeuropa nehmen wird, um dort eine teuflische Ladung zu holen.«
20
Tweed und seine Leute verbrachten die Nacht in einem Pariser Hotel und bestiegen am nächsten Morgen den ersten Eurostar, der in Richtung London fuhr.
Als sie sich der Waterloo Station näherten, wandte Tweed sich an Paula: »Sie begleiten mich«, sagte er mit eindringlicher Stimme. »Wir fahren sofort zu Aubrey Greystoke, dem Leiter der Finanzabteilung von Gantia. Es wird höchste Zeit, dass wir unsere Verdächtigen einmal ordentlich in die Zange nehmen.«
»Haben Sie Greystoke im Verdacht?«
»Nicht nur ihn.«
Am Bahnhof gaben sie ihr Gepäck Marler und Nield und bestiegen ein Taxi, das sie zum Bürohochhaus von Gantia bringen sollte. Während sie im Schneckentempo durch den Londoner Verkehr krochen, verblassten Paulas Erinnerungen an das Mittelmeer allmählich, und andere Bilder stiegen in ihr auf.
Plötzlich war alles wieder da: die merkwürdige Fahrt mit Michael ins Dartmoor, die beiden skelettierten Leichen, Abbey Grange und seine seltsamen Dienstboten - Mrs Brogan und Tarvin -, die schreckliche Entdeckung der Leiche von Christine Barton in deren eigenem Kühlschrank, die Fahrt nach Wensford und der ebenso grässliche Fund der weitgehend skelettierten Leiche des Privatdetektivs John Jackson auf dessen Hausboot. Erinnerungen, von denen eine grausiger war als die andere.
Langsam näherten sie sich dem Bürohochhaus, und Paula stellte fest, dass die konische Spitze des Turms sich in den tief hängenden Wolken versteckte. Am Empfang stand wieder die uniformierte junge Frau und musterte Paula ebenso streng wie beim vorigen Besuch. Diesmal jedoch kam Paula ihr zuvor.
»Ich weiß, dass ich meine Umhängetasche nicht mit hineinnehmen kann. Würden Sie sie bitte in eines der Schließfächer sperren?«
»Das geht nur, wenn Sie mich vorher einen Blick hineinwerfen lassen.«
»Haben Sie wirklich Angst, es könnte sich darin eine Bombe befinden?«
»Sind Sie eigentlich schwer von Kapee?«, mischte Tweed sich ein und hielt der Frau abermals seinen SIS-Ausweis unter die Nase. »Wir wollen zu Aubrey Greystoke.«
»Er ist …«
»Ich weiß. Zimmer 750, siebter Stock. Wir nehmen den zweiten Aufzug.« Und dann leierte er fast dieselben Worte herunter, die die Frau bei ihrem letzten Besuch verwendet hatte: »Willkommen im Tower, mehrfach ausgezeichnet für seine besondere Architektur …«
Mit offenem Mund starrte ihnen die Uniformierte sprachlos hinterher, als sie an ihr vorbei zu den Aufzügen gingen. Unbehelligt fuhren sie hinauf in den siebten Stock, wo der lange Gang menschenleer war. Tweed wollte gerade auf den Klingelknopf von Zimmer 750 drücken, da ging die Tür auf und eine schlanke blonde Frau kam heraus. Sie hatte einen Mantel über dem Arm und sperrte die Tür ab. Dann trat sie vor einen der Aufzüge. Tweed bemerkte, dass der Reißverschluss am Rücken ihres Kleides nicht ganz geschlossen war.
Er sprach sie an. »Entschuldigen Sie, aber draußen ist es kalt, und Ihr Reißverschluss steht ein Stück offen. Sie erlauben doch?« Mit einer raschen Bewegung zog er den Reißverschluss über ihren gut geformten Rücken nach oben. »Darf ich Ihnen auch noch in den Mantel
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