Skin Game 02 - Verhängnisvoller Verrat
erfahren. Sie wusste von dem Mann, der weinte und versuchte, sich die Augen auszustechen, wenn er nicht gefesselt war.
Dr. Rowan herrschte über sie alle.
Man hätte ihn vielleicht attraktiv finden können, aber er hatte ganz kalte Augen und war so bleich. Offenbar kam er selten an die Sonne. Davon abgesehen sah er normal aus – ein Mann, bei dem man kein zweites Mal hinschaute, wenn man nicht wusste, dass er Geschmack am Tod hatte. Für Gillie war er der fleischgewordene Schrecken.
»Das freut mich.« Er lächelte und entblößte dabei die Zähne samt Zahnfleisch – grauenvoll, wie ein grinsender Totenschädel.
Bestimmt bildete er sich ein, er hätte ein charmantes Lächeln und dass sie seine Besuche schön fände.
Vielleicht glaubte er sogar, besonders freundlich zu sein, weil er ihr in ihrer Gefangenschaft menschlichen Kontakt bot. Ihr war die ungefährliche »Zelluloidgesellschaft« ihrer DVDs jedoch lieber.
»Danke, dass Sie nach mir sehen.«
Sie gab sich Mühe, ihren Abscheu zu verbergen. Ihr Instinkt sagte ihr, dass alles nur noch schlimmer werden würde, wenn Rowan bemerken sollte, wie sie wirklich über ihn dachte. Im Augenblick betrachtete er sie wie ein Schoßtier, das die andressierten Tricks auf bewundernswerte und zuverlässige Weise ausführte, noch dazu ohne sich zu beklagen. Dieser Zustand konnte sich sehr leicht ändern. Rowan besaß die Macht, ihr jeden Komfort wegzunehmen.
Wie gefährlich es war, die Mitarbeit zu verweigern, hatte sie früh begriffen, und sie war nicht stark genug, um sich das Leben zu nehmen.
»Ist mir ein Vergnügen.«
Ja, das befürchtete sie. »Ist heute Nacht etwas passiert? Sie sehen so … seltsam aus.«
Würde er sich ihr anvertrauen? Sie glaubte nicht, dass er in seinem Privatleben mehr Kontakt zu anderen Menschen hatte als sie. Und obwohl sie fürchtete, er könnte die Schwelle überschreiten und Intimität einfordern, überlegte sie, ob sich seine Zuneigung nicht zu ihrem Vorteil nutzen ließe.
Sein Gesicht hellte sich auf, als täte ihm ihre Aufmerksamkeit gut. »Ja, durchaus. Wärst du so freundlich, mir eine Tasse Tee zu machen?«
Als wäre es nicht sechs Uhr früh! Als wäre das ein ganz normaler Besuch!
Ohne ihren Unmut zu zeigen, ging sie in die Küche und stellte zwei Tassen mit Wasser in die Mikrowelle. Als sie sich wieder umdrehte, sah sie, dass er es sich bequem gemacht hatte und die Beine ausstreckte. Wie es schien beabsichtigte er, eine Weile zu bleiben.
Na ja, solange er redet, tut er wenigstens nichts Schrecklicheres.
Angewidert nahm sie die Situation hin. Niemand würde kommen und sie retten. Falls ihre Eltern je nach ihr gesucht hatten, so hielten sie sie inzwischen bestimmt für tot. Höchstwahrscheinlich hatte die Stiftung ihnen das sogar weisgemacht. In gewisser Weise war das vielleicht gnädiger.
»Sie wollten gerade etwas sagen«, erinnerte sie den Arzt vorsichtig.
»Wir haben heute Nacht eine Testperson verloren.«
Das hieß, dass er sie eingeschläfert hatte. Gillie wusste, wie er das machte. Aber sie gab sich ahnungslos, weil er das gern hatte. »Oh wie schrecklich. Was ist passiert?«
Rowan erzählte lang und breit von dem hoffnungslosen Fall dieser Probandin. Währenddessen begriff Gillie, dass er sich einredete, es sei ein Gnadentod gewesen und er habe eine gute Tat begangen. Ihre Finger an der Teetasse zitterten. Sie hatte noch nicht einmal daran genippt. Die Vorstellung von ihm als Gott des Totenreichs war ihr gerade so präsent, dass sie glaubte, wenn sie in seiner Gegenwart einen Schluck trinken würde, wäre ihre ewige Gefangenschaft besiegelt.
Albern! Ich komme hier so oder so nicht mehr raus.
Sie trank trotzdem nicht.
»Ich muss mich jetzt auf den Heimweg machen«, sagte Rowan schließlich. »Aber du verstehst, warum ich nach dir sehen wollte.«
»Um sich vor Augen zu führen, dass Sie hier etwas Gutes tun.« Sie behielt einen ungezwungenen Tonfall bei.
»So ist es, Gillie.« Im Vorbeigehen strich er ihr über die Wange, woraufhin sie sich vor Ekel am ganzen Körper verspannte. »Wenn du nur sehen könntest, wie gut es den Leuten geht, die du geheilt hast. Da kommt mir eine Idee … Vielleicht möchtest du dir ein paar unbemerkt aufgenommene Videos anschauen, die zeigen, dass die Menschen dank deiner außergewöhnlichen Gabe ihr früheres Leben wiederaufnehmen konnten.«
Ja, natürlich wollte sie das sehen. Warum nicht? Zeig dem Mädchen, das nichts hat – keine Familie, keine Freunde, keine Freiheit –,
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