Skinwalker 01. Feindesland
Glück. Er war durch eine matschige Stelle gelaufen und hatte drei hübsche, klare, seltsam aussehende Prankenabdrücke hinterlassen, halb Mensch, halb etwas anderes. Eine Großkatze.
Die Abdrücke waren rund fünfunddreißig Zentimeter lang und an der tiefsten Stelle, an den Zehen, beinage dreißig breit. Zwei der Abdrücke ließen menschliche Fersen ahnen, wodurch sie irgendwie ungelenk aussahen. Ein Bigfoot-Experte wäre stolz gewesen, auf so etwas zu stoßen. Tiefe Kerben ließen darauf schließen, wie lang die Krallen waren – viel länger als Beasts. Große Abdrücke. Beasts Pranken maßen ungefähr zwanzig Zentimeter im Durchmesser und die gebogenen Nägel knapp vier Zentimeter, je nachdem, wie sie gemessen wurden.
Leberfresser , murmelte Beast mir zu. Sie war wach und ihr Radar für Gefahr aktiv.
Was immer es war, es war kein Vamp. Als Rogue konnte ich ihn nun nicht mehr bezeichnen. Bis ich etwas Besseres gefunden hatte, würde er der Leberfresser sein. Es ärgerte mich, dass Beast mehr über dieses Ding wusste als ich. Und würde diese Kreatur Beast in Gefahr bringen, weil die Polizei jetzt aufmerksam wurde?
Mein spontaner Impuls war, die Spuren zu verwischen, die Fährte der Kreatur zu verbergen – Beasts Überlebensinstinkt. Wenn ich sie verwischte und die Cops argwöhnten, dass ich einen Tatort manipuliert hatte, würde ich erklären müssen, warum ich es getan hatte. Und das hieß, ich müsste lügen. Und Lügen holten mich früher oder später immer ein. Deshalb, wider Beasts besseres Wissen, ließ ich die Spuren, wie sie waren, und ging zurück zum Haus, um auf die Polizei zu warten. Zuerst untersuchte ich das Fenster, durch das der Rogue eingedrungen war. Das Fliegengitter hing nur noch lose im Rahmen. Die Scheibe war eingeschlagen. An den Glasscherben, die aus dem unteren Rahmen ragten, klebte trockenes Blut. Während ich es untersuchte, summte eine Fliege durch das Fenster. Sie kam nicht wieder heraus.
Ich streckte mich in einem Liegestuhl aus, der in sicherer Entfernung von einem Feuerameisenhügel stand, und zog die gefalteten Blätter mit den Informationen über die Grundstücksbesitzer heraus, die Rick mir gegeben hatte. Er hatte eine Karte ergoogelt, die Grundstücke darauf eingezeichnet und darunter einige Anmerkungen zu Steuerprivilegien und Eigentumsverhältnissen hinzugefügt. Die Infos schienen von verschiedenen Webseiten zu stammen, die persönliche Daten sammelten. Die meisten davon nutzte ich selber auch. Auf der Karte waren der Jean Lafitte Park und der Bayou Segnette State Park in saftigem Grün markiert. Bisher war mir gar nicht klar gewesen, wie nah sie beieinanderlagen.
Jedes Raubtier hat sein eigenes Revier/Jagdgebiet. Beasts größtes Revier hatte zweihundertsechzig Quadratkilometer umfasst. Das Revier eines kräftigen Pumamännchens konnte bis zu siebenhundert Quadratkilometer groß sein. Vermutlich war das eines Säbelzahntigers proportional größer. Ich fragte mich, ob die Parks und die Stadt New Orleans in das Jagdgebiet des Leberfressers fielen.
Großkatzen sind nicht dafür geschaffen, lange Strecken in hoher Geschwindigkeit zurückzulegen. Abgesehen von Geparden sind die meisten Katzen Lauerjäger, die darauf warten, dass ihr Abendessen vorbeispaziert, um sich dann darauf zu stürzen, vielleicht mit einem kleinen Sprint, wenn es sein muss. Um nicht unnötig viel Körperhitze aufzubauen, verausgaben wir uns dabei aber nur sehr selten. Manchmal sind wir auch Pirschjäger und verfolgen unsere Beute anhand ihrer Witterung und ihrer Abdrücke, aber nur wenige von uns rennen dabei über längere Strecken.
Heute Nacht war der Rogue eine erstaunlich weite Strecke gerannt. Mir fiel wieder ein, dass ich Wasser rauschen gehört hatte, als das Töten ein Ende fand. Hatte der Leberfresser sich abkühlen müssen? Hatte er eine kalte Dusche genommen? War das ein Grund, warum er unter Wasser schlief, in seinem Nest im Wald? Um kühl zu bleiben?
Ich nahm mir wieder die Karte vor und berechnete die Entfernungen zwischen dem Vamp-Friedhof, den Grenzen beider Parks und Aggies Haus. Es war denkbar, dass dies alles zum Jagdgebiet des Rogue gehörte – und das French Quarter noch dazu. Aber ich wusste nicht, ob die Karte maßstabsgetreu war; und vielleicht war ich überhaupt auf einer falschen Fährte. Ich beschloss, mich später damit zu befassen, und widmete mich den Infos über die Grundstückseigentümer. Ein großes Stück Land, das an den Jean Lafitte Park anschloss, gehörte
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