Skiria: Am Berg der Drachen (German Edition)
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Ein Kohlgeruch verströmender älterer Herr, der wirkte, als könne er die Bewegungen seines ausgedörrten Körpers nur noch mühsam beherrschen, schnappte sich Skirias Arm und umklammerte sie fest. Hilfe suchend sah sie sich nach Janus um, doch der hatte sich bereits eine hübsche Maid auserkoren, mit der er förmlich über den Boden der Wirtstube zu schweben schien, als handele es sich um das Parkett eines feines Ballsaals. Zähneknirschend ließ Skiria die Prozedur über sich ergehen und atmete auf, als schließlich ein Gaukler den Spielmann verdrängte, um ein lustiges Gedicht vorzutragen.
Janus nahm derweil am Tisch der Schönen Platz. Ihm gefiel Umiena immer besser. Seit sie das Stadttor passiert hatten, konnte er sich gar nicht mehr sattsehen an den hohen Häusern und den vielen Menschen. Welch eine Kulisse! Wie ärmlich und langweilig doch dagegen sein Heimatdorf erschien. Alles war hier viel größer und imposanter. Selbst die Schenken, von denen nicht nur eine, sondern gleich mehrere existierten, wirkten beeindruckend mit ihren verschiedenartigen Gästen und der Auswahl an Getränken, von denen man in Runa nur träumen konnte. Und er saß einem Mädchen, bildschön und von reizendem Wesen gegenüber und unterhielt sich angeregt mit ihr. Was wollte er mehr?
Währenddessen saß Hazaar teilnahmslos an einem kleinen Tisch und wirkte, als befände er sich inmitten stiller Natur statt in einer lärmerfüllten Gaststube. Er schien konzentriert nachzudenken und ließ sich weder durch die laute Musik noch durch die Betrunkenen stören, die von Zeit zu Zeit an ihm vorüber torkelten.
Da sie Janus nicht stören wollte und Hazaar wenig Unterhaltung bot, beschloss Skiria, nach Irian zu sehen, der es nach der anstrengenden Reise vorgezogen hatte, das Bett zu hüten, um seinem schmerzenden Bein Ruhe zu gönnen.
Rasch eilte sie den Gang entlang, vorbei an einem sich ausgiebig küssenden Liebespaar, und erklomm die hohen Stufen bis zum ersten Stock. Leise pochte sie an Irians Gemach, doch drinnen blieb es still. Überrascht stellte Skiria fest, dass sich die Tür öffnen ließ, als sie vorsichtig dagegen drückte. Irians pfeifende Atemzüge zeugten von tiefem Schlaf.
Auch Gwendol, den sie nach dem Essen zu Bett geschickt hatte, schien tief in die Laken gehüllt. Bemüht, die beiden nicht aufzuwecken, schloss Skiria langsam die Tür und überlegte einen Augenblick, ob auch sie sich schlafen legen sollte. Trotz ihrer Müdigkeit entschied sie sich aber dafür, ihre Kammer erst später aufzusuchen. Zu günstig schien die Gelegenheit, sich in aller Ruhe etwas umzusehen.
Skiria ging wieder hinab, unauffällig, als wolle sie sich wieder in den Schankraum begeben. Unbemerkt huschte sie jedoch an der Wirtsstube vorbei, aus der laute Musik, Stimmengewirr und ein Geruch nach Bier und menschlichen Ausdünstungen hervor drang, und drückte die schwere Eingangstüre auf.
Eine kühle Brise fegte draußen durch die Stadt. Skiria atmete die wohltuende Frische der klaren Nachtluft ein, doch schon fröstelte sie. Ein wenig die Beine zu vertreten, konnte wohl trotzdem nicht schaden.
Die Straße wirkte verlassen. Einzig ein Betrunkener schwankte lallend an ihr vorbei. Skiria entfernte sich vom Radau der Schenke und wanderte in Richtung des Marktplatzes. Dunkel lag die Gasse vor ihr, lediglich hinter einigen Fenstern flackerte Kerzenlicht, das gespenstische Schatten auf das Pflaster warf. Nur bis zum Markt wollte sie gehen und dann sogleich wieder zurück. Der Lärm, der aus der Schenke drang, verklang immer mehr, bis Skiria nur noch leise Musik wahrnahm, in die sich jedoch bald das Trippeln von nahenden Schritten mischte.
Unvermittelt blieb sie stehen und sah sich ängstlich um. Aus einer Seitengasse bog eine kleine Gestalt um die Ecke. Die Finsternis gab nur ihre schattenhaften Umrisse preis, doch wie es schien, handelte es sich nicht um eine ausgewachsene Person. Sie hielt direkt auf Skiria zu, rennend, als sei jemand hinter ihr her, und wandte dabei immer wieder den Kopf, um zurückzusehen. Als der Läufer sich näherte, erkannte Skiria einen kleinen Jungen. Skiria schickte sich an, ihm auszuweichen, doch er lief direkt in ihre Arme und hätte sie beinahe umgerannt.
„Kannst du nicht aufpassen?“, schimpfte sie ärgerlich, doch einen Augenblick später erkannte sie erstaunt, dass kein Unbekannter vor ihr stand.
„Gwendol! Ich dachte, du schläfst!“
Gwendol rang nach Luft, sodass er kaum antworten konnte.
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