Skiria: Am Berg der Drachen (German Edition)
Worte seines Meisters wie Schläge.
„Wird’s bald?“, mahnte die tiefe Stimme ungeduldig.
Vorsichtig näherte sich Gwendol.
„Wir werden uns hier niederlassen“, teilte ihm der Zauberer mit. „Den Rest des Tages wirst du damit verbringen, Beeren und Wurzeln zu suchen. Das gehört ab sofort zu deinen täglichen Aufgaben. Und sammle auch Feuerholz! Hast du verstanden?“
Ehrfürchtig nickte Gwendol, bevor er sich erleichtert entfernte.
„Halt!“, rief ihn der Magier zurück. Gwendol stockte erneut der Atem, als Rutams Augen ihn drohend fixierten. Schwarze Löcher, die aus der Bleiche seines Gesichts deutlich hervortraten.
„Weißt du, was mit Zauberlehrlingen geschieht, die versuchen fortzulaufen?“
Gwendol schüttelte seinen Kopf. Am liebsten hätte er sich die Ohren zugehalten, um nicht hören zu müssen, welche unmenschlichen Strafen sein Meister für unartige Schüler vorgesehen hatte. Doch Rutam grinste nur.
„Ich auch nicht. Aber sei gewiss, ich werde mir etwas Schönes ausdenken!“ Daran zweifelte der Knabe kein bisschen.
Mehrere Tage lang wirkte Gwendol ungewohnt eingeschüchtert. Zu seiner Erleichterung wiederholte sich der Vorfall mit dem Kaufmann nicht, sodass er bald glaubte, es handelte sich dabei um eine seltene Ausnahme. Womöglich waren die beiden doch keine richtigen Schwarzmagier, sondern mussten nur hin und wieder, um ihren schlimmen Ruf zu wahren, für ein grausames Ereignis sorgen.
Rutam hatte ihn in der letzten Zeit wie Luft behandelt, sodass Gwendol sich schließlich sicher genug fühlte, um Andakor ein wenig auszuhorchen: „Wohin gehen wir?“
„Das darf ich dir nicht sagen“, entgegnete Andakor ernst, doch sein Schüler gab sich mit dieser Antwort nicht zufrieden und versuchte, den Bestimmungsort ihrer Reise zu erraten: „Werden wir eine Siedlung besuchen, etwa ein Dorf oder eine Stadt?“
Lächelnd schüttelte der Magier den Kopf.
„Jetzt weiß ich es! Wir reisen zu Rutams Schloss, nicht wahr? Er wohnt doch in einem Schloss, nicht wahr? So sag es mir doch endlich!“, bettelte Gwendol und versperrte Andakor den Weg, indem er vor ihm herumhüpfte, als beabsichtige er, den Magier dadurch so lange am Fortkommen zu hindern, bis er das Ziel ihres Weges nannte. Der Zauberer lachte zunächst über seinen neugierigen Schüler, doch als er erkannte, dass der Knabe nicht aufhörte, wild umherzuspringen, packten seine Arme den Knirps und rüttelten ihn kräftig.
„Hör zu, Gwendol! Ich darf es dir nicht sagen, verstehst du? Ich bekomme sonst großen Ärger.“
„Was ist hier los?“, mischte sich Rutam drohend ein, der plötzlich neben ihnen stand, als hätten ihn magische Kräfte dorthin versetzt.
„Nichts!“, antworteten die beiden einstimmig. Betreten sah Andakor zu Boden, als scheue er den direkten Augenkontakt mit Rutam.
Beinahe sämtliche Blätter hatten sich mittlerweile braun verfärbt, und einige Bäume reckten bereits ihr nacktes Geäst trist zum Himmel. Einzig die Nadelbäume behielten ihr sattes Grün, als könne sie die Aussicht auf den nahenden Winter nicht erschüttern. In den Nächten fror Gwendol oft fürchterlich, obwohl ihm Andakor meist einen Zipfel seiner wärmenden Kutte überließ, mit dem er sich zudecken konnte. Tagsüber, wenn Rutam sich außer Hörweite befand, bedrängte er Andakor so lange, bis dieser sich schließlich bereit erklärte, ihm zu zeigen, wie man geräuschlos über trockenes Laub wandeln konnte.
Hinter Rutams Rücken probierte Gwendol seine neuen Kenntnisse aus, trotz Andakors Ermahnungen, er solle nur üben, wenn sich Rutam außer Sichtweite befand. Es gelang Gwendol zwar nicht, geschmeidig wie ein Schwarzmagier zu gleiten, doch immerhin schwebte er etwa zwei Finger breit über dem Erdboden, torkelnd wie ein frisch geschlüpfter Falter. Angespannt beobachtete Andakor seinen Schüler und bereute bereits, ihm den Zauber gezeigt zu haben. Schließlich hatte ihn Rutam instruiert, Gwendol keinerlei Zaubereien zu lehren. Entdeckte er Gwendols neue Fähigkeiten, so würde sein Zorn nicht nur dem Jungen, sondern auch ihm gelten.
Abends am Feuer blickte Rutam misstrauisch in Gwendols Gesicht, das im Licht der Flammen zu glühen schien. Nach langem Schweigen erschien Rutams kräftige Stimme übermäßig laut: „Wer hat dich gelehrt, über dem Boden zu schweben?“
Vor Schreck versagte Gwendols Aussprache, sodass er nur tonlos die Lippen bewegte. Andakor erstarrte und hoffte inständig, dass Gwendol die richtigen
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