Sklaven der Begierde
damit sie nicht aus ihrem Unterweltparadies vertrieben wurden.
Aber Kingsley wusste, dass das alles nur Schau war, eine Kriegslist oder der reine Selbstbetrug. Er und Søren waren mehr als ein Dom und ein Sub, und die Regeln galten nicht für sie. Was zwischen ihnen vorging, war kein Spiel. Wenn Kingsley sagte „Ich bin Dein“, dann meinte er es auch so. Und wenn Søren das Bedürfnis hatte, ihn zu verbrennen, zu verstümmeln, zu verkaufen, zu zerbrechen … dann würde er das tun, und Kingsley wusste, dass er ihn nicht stoppen konnte und nicht stoppen wollte. Seine Liebe zu Søren hatte ihn zum Sklaven gemacht, und nichts und niemand konnte diesen Zustand ändern.
Als sie endlich in Kingsleys Stadthaus ankamen, war es Mitternacht. Obwohl Søren ihn mit nichts anderem als einem Finger berührt hatte, fühlte Kingsley sich, als sei er durchgepeitscht worden. Den Felsen zu sehen, auf dem seine Schwester gestorben war; in der Hütte zu sitzen, in der Søren ihn so oft fast umgebracht hatte; die Schule aufzusuchen, die Schauplatz seines schlimmsten Leids gewesen war – das alles hatte ihn doch ziemlich mitgenommen.
Er schleppte sich mühsam die Treppe hoch. Es gab nur ein Mittel, das ihm jetzt wirklich helfen konnte, doch dieses Mittel wurde ihm verwehrt. Also beschloss er, sich stattdessen um den Verstand zu saufen.
Sie gingen zu Kingsleys opulentem Schlafzimmer am Ende des Flurs im zweiten Stock.
„Ich würde sagen, es ist eine Nacht für Amontillado.“ Kingsley öffnete die Tür. „Ich habe einen da, der derselbe Jahrgang ist wie Edgar Allan Poe. Er wäre stolz, wenn er uns den trinken sehen könnte.“
Søren lehnte am Fußende von Kingsleys prachtvollem Bett, die Schultern am Pfosten, die Arme vor der Brust verschränkt. „Als Poe siebenundzwanzig war, hat er seine dreizehnjährige Cousine geheiratet. Sollten wir uns wirklich darum bemühen, ihn stolz zu machen?“
Kingsley schälte sich aus seinem Jackett und warf es auf den Boden. Er konnte es nicht erwarten, seine normalen Sachen anzuziehen. Seinen dunkelgrauen Anzug und die bestickte Weste. Seine Reitstiefel. Sein Halstuch. Dieser Armani-Blödsinn kam ihm vor wie eine Verkleidung. Er könnte sich damit unter eine Ansammlung wohlhabender Geschäftsleute mischen und in der Gruppe verschwinden. Anonymität stand ihm nicht.
„Ich glaube, weder du noch ich haben das Recht, über Poe zu urteilen. Oder über irgendjemand sonst. Darf ich daran erinnern, dass deine Eleanor gerade mal fünfzehn war? Und ich … Wir kennen beide meine Verbrechen.“
Søren sagte nichts, schaute nur zur Seite, als Kingsley anfing, sich auszuziehen. Das hatte er immer schon gemacht. Selbst damals als Teenager. Sogar wenn er noch ein paar Minuten vorher in Kingsleys Körper gesteckt hatte. Aus irgendeinem Grund, Diskretion vielleicht oder Respekt oder Verleugnung, drehte er sich um, sobald Kingsley sich in seiner Gegenwart an- oder auszog. Kingsley fragte sich des Öfteren, ob er das bei Eleanor auch so handhabte – oder ob er sie dabei beobachtete und ihre nackten Kurven mit den Augen verschlang. Er war sich der Tatsache bewusst, dass er in Sørens Leben eine privilegierte Position hatte. Theoretisch waren sie miteinander verwandt, Søren war sein Schwager. Sein verwitweter Schwager. Sie konnten also so viel Zeit allein miteinander verbringen, wie sie wollten, ohne damit irgendeinen Verdacht zu erregen.
Kingsley zog seine Reitstiefel an, aber noch nicht das Hemd. Ein kindischer Trick, aber manchmal konnte er einfach nicht anders, als Søren zu provozieren. Zum Beispiel wenn der Priester mit verkrampften Kiefermuskeln dastand und überallhin blickte, nur nicht auf Kingsley.
„Bleibst du noch?“ Er machte ein paar Schritte auf Søren zu und blieb direkt vor ihm stehen, in Hosen und Reitstiefeln und sonst nichts. Normalerweise war es ihm lieber, wenn die vielen Männer und Frauen, die sein Bett aufsuchten, nicht fasziniert auf seine Brust starrten. Sein Körper war mit alten Narben und Schusswunden übersät. Sie stammten aus den Jahren, in denen er, getarnt als Capitaine der Fremdenlegion, für die französische Regierung gearbeitet hatte. Und kaum hatten seine Geliebten und Liebhaber einen Blick auf seine Brust geworfen, fing die Fragestunde an.
Woher hast du denn die Schusswunden?
Ich wurde angeschossen .
Wer hat denn auf dich geschossen?
Die vielen gehörnten Ehemänner. Dein Gatte ist doch hoffentlich nicht bewaffnet, oder?
Er wiegelte sämtliche Fragen
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