Sklaven der Begierde
Aufnahme von zwei Schulfreunden. Das finden wir befremdlich … und bedrohlich.“
Elizabeth trat von der Tür zurück und ging ein paar Schritte den Flur hinunter. Dann drehte sie sich wieder um.
„Marcus, was geht hier vor?“ Ihre Stimme war leise, ihr Ton kalt.
Kingsleys Schultern versteiften sich unwillkürlich. Kein Mensch benutzte Sørens Taufnamen, wirklich keiner. Er erlaubte es nicht. Elizabeth sollte doch eigentlich besser wissen als jeder andere, wie sehr er diesen Namen, der auch der Name seines Vaters war, hasste. Entweder war sie so verstört, dass sie es vergessen hatte, oder so wütend, dass es ihr egal war.
Søren sah sie an und holte tief Luft. „Ich weiß es nicht, Elizabeth.“
„Du lügst. Du weißt mehr, als du sagst.“
„Ich weiß mehr, als ich sage. Aber ich lüge nicht. Ich habe wirklich keine Ahnung, wer hinter alldem steckt. Erzähl uns bitte alles, was du weißt.“
Sie schüttelte den Kopf und drehte ihnen den Rücken zu. „Das habe ich bereits. Ich bin aufgewacht. Dann bin ich aufgestanden. Dann habe ich einen seltsamen Geruch bemerkt und bin ihm nachgegangen. Ich habe in jedes Zimmer geschaut. Das hier war das letzte. Ich versuche, dieses Zimmer möglichst nie zu betreten. Das weißt du doch.“
Ihr Bruder nickte. Kingsley wollte sich lieber nicht vorstellen, was er empfunden haben mochte, als er im Türrahmen zu seinem ehemaligen Schlafraum stand. Er hatte keinen Fuß hineingesetzt, sondern auf der Schwelle verharrt – wie ein Vampir, der sie ohne Einladung nicht überschreiten konnte. Und es kam keine Einladung.
„Ich habe die Tür geöffnet. Ich habe das Bett gesehen und die Worte an der Wand. Ich hätte mich fast übergeben. Irgendjemand weiß über uns Bescheid, weiß, was passiert ist. Ich habe mir das Hirn zermartert, um herauszufinden, wer das sein könnte. Meine Mutter ist tot. Unser Vater ist tot. Wer bleibt also noch? Ich habe dieser Journalistin von uns erzählt. Aber ich kann mir nicht …“
„Ich kenne Suzanne“, sagte Søren. „Sie würde so etwas niemals tun. Außerdem kann sie es auch gar nicht sein, sie ist gerade im Irak.“
„Mehr fallen mir nicht ein. Oh, und Kingsley, wie ich gerade erfahren habe.“ Sie deutete mit dem Kopf in seine Richtung. „Wer noch? Du sagtest, er sei einer von zwei Menschen, denen du es erzählt hast. Wer ist der andere?“
Sørens Kiefermuskeln verkrampften sich fast unmerklich. Aber Kingsley bemerkte es trotzdem.
„Niemand, der es weitererzählen würde.“
„Bist du dir da ganz sicher?“, hakte sie nach.
„Dafür lege ich die Hand ins Feuer.“
„Dann war’s das.“ Sie hob hilflos die Schultern und legte die Hände vors Gesicht. „Ich kann mir einfach nicht vorstellen, wer oder warum … Kingsley.“
„ Oui?“
„Hast du dich vielleicht irgendwann mal verplaudert?“
Allein seine eiserne Selbstbeherrschung hinderte ihn daran, ihr einen Blick voller Abscheu und Verachtung zuzuwerfen. Er hatte für die französische Regierung spioniert. Müßiger Tratsch und gedankenlose Plauderei hätten ihn damals das Leben kosten können! Zum Glück wusste er seinen Mund für andere vergnügliche Aktivitäten einzusetzen.
„Ich bin zwar für meine flinke Zunge bekannt, ma chèrie . Aber nicht, weil ich so viel damit rede. Euer Geheimnis ist bei mir gut aufgehoben. Der einzige Mensch, dem ich je davon erzählt habe, ist seit dreißig Jahren tot.“
Elizabeth atmete schwer aus und schüttelte den Kopf. „Natürlich ist es das. Es tut mir ja so leid, Kingsley. Aus mir spricht gerade die nackte Panik.“
„Pack die Koffer, Elizabeth“, sagte Søren in bestimmtem Ton. „Du verschwendest hier nur Zeit. Es wird uns nicht weiterbringen, wenn wir einander anklagend anstarren. Kingsley und ich werden herausfinden, was hinter der Sache steckt. Und wer. Ruf mich in einem Monat an. Dann lasse ich dich wissen, ob die Gefahr gebannt ist und du beruhigt zurückkehren kannst. Sag keinem, wohin ihr reist. Nicht einmal mir.“
Sie sah die beiden Männer noch einen Moment schweigend an, dann drehte sie sich auf dem Absatz um und lief mit schnellen Schritten zum anderen Flügel des Gebäudes.
Kingsley öffnete die Kinderzimmertür erneut und betrachtete die Verwüstung. Von dem Bett war wirklich nichts übrig geblieben. Wie hatte der Eindringling es nur geschafft, allein das Bett zu zerstören und alles andere intakt zu lassen? Ein derart großes Feuer hätte eigentlich das ganze Haus niederbrennen müssen. Stattdessen:
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