Sklaven der Begierde
nicht. Sie war unfähig zur Liebe, sie kannte nur Besessenheit. An dem Tag, an dem man uns getrennt hat, hätte sie mir fast den Arm abgerissen. Sie war von dir besessen, und als sie uns zusammen gesehen hat …“ Kingsley stockte.
„… rannte sie davon und stürzte zu Tode. Vielleicht war es Selbstmord, aber selbst wenn, war das ihre Entscheidung. Du lädst dir viel zu viel Schuld auf, Kingsley.“
„Willst du nun meine Theorie hören oder willst du meine Seele retten?“
„Beides. Aber für deine Seele brauche ich ein bisschen mehr Zeit. Erläutere mir deshalb erst mal deine Theorie.“
„Christian glaubt, dass dieser Jemand damals in Marie-Laure verliebt war und sich nun an uns rächen will.“
„Rache.“ Søren seufzte tief und lehnte sich zurück. „Was für ein Melodrama das alles ist. Das Foto, das brennende Bett … Ich habe eine Geliebte, Kingsley, und der halbe Untergrund weiß es. Als ich mich in sie verliebt habe, war sie fünfzehn Jahre alt. An dem Tag, an dem ich sie traf, habe ich beschlossen, dass sie mir gehören würde. Und an diesem Tag habe ich angefangen, sie für mein Bett abzurichten. Das ist kein Geheimnis. Ein Anruf beim Bischof reicht, um mich exkommunizieren zu lassen. Wenn jemand meine Priesterkarriere ruinieren will, braucht er sich kaum solche Mühe zu geben wie unser Akten- und Fotodieb.“
„Ja, du hast eine Geliebte, aber der gesamte Untergrund weiß, dass sie und ich jeden vernichten würden, der versucht, dich zu verraten. Und ja, als du dich in sie verliebt hast, war sie fünfzehn, aber du hast erst mit ihr geschlafen, als sie zwanzig war – übrigens eine wahrhaft beeindruckende Leistung angesichts der Tatsache, dass sie diese fünf Jahre lang alles versucht hat, um dich zu verführen. Und selbst wenn deine versammelten Gemeindemitglieder dich mit deiner Hand um ihre Kehle und deinem Schwanz zwanzig Zentimeter in ihr drin erwischen sollten – und das auf dem Altar, vor dem sie beten –, würden sie keiner Seele etwas davon erzählen. Sie lieben dich viel zu sehr. Du bist absolut sicher.“
„Aber was will er sonst erreichen?“
„Er könnte mehr wollen als deine Karriere zu ruinieren. Das Ganze ist nämlich, entschuldige bitte meine rüde Ausdrucksweise, ein Mindfuck. Der Typ will dich mit seinen Psychospielchen verunsichern. Und wie nun wirklich jeder im Untergrund weiß, ist der Mindfuck deine Spezialität. Jemand tut dir also das an, was du anderen antust.“
„Und du glaubst, dass dieser Jemand mit uns zur Schule gegangen ist?“
„Das muss ja wohl so sein. Wer sollte sonst über uns Bescheid wissen? Und über das Foto, das Christian damals geschossen hat?“
„Eleanor hat eine Kopie davon.“
„Glaubst du etwa, dass Eleanor dahintersteckt?“
„Natürlich nicht.“
„Wer dann?“
Søren schüttelte frustriert den Kopf und starrte aus dem Fenster. Obwohl er wusste, dass der Dieb sich mit dem Falschen angelegt hatte, konnte Kingsley nicht umhin, sich klammheimlich an der ungewohnten Machtlosigkeit des Priesters zu weiden. Normalerweise hatte Søren jede denkbare Situation, die sich in ihrer Welt auftat, unter Kontrolle. Kein Problem war so groß, dass er es nicht dank seines überlegenen Wissens und seiner geistigen Stärke lösen konnte. Für jede noch so komplizierte Frage hatte er die Antwort parat. Wenn ein Sadist im achten Zirkel allzu sehr über die Stränge schlug, wies er ihn zurecht. Wenn eine junge Sub plötzlich nicht mehr zwischen Rollenspiel und Realität unterscheiden konnte, redete er ihr gut zu. Søren konnte mit jedem Drama in der BDSM-Szene souverän umgehen. Der Untergrund tanzte nach seiner Pfeife. Und er hatte sogar Nora Sutherlin im Griff, die einzige Frau, die weder Kingsley noch irgendein anderer Mann auf dieser Welt je zähmen könnten.
Aber mit dem, was ihnen gerade passierte, konnte Søren offensichtlich nicht umgehen.
„Kingsley …“, sagte er und sah ihn an. „Was glaubst du denn, wer es ist?“
Kingsley zuckte mit den Schultern. „Je ne sais pas . Ich habe nicht die leiseste Ahnung. Aber ich glaube, dass Christian recht haben könnte. Wir waren damals so miteinander beschäftigt, dass wir gar nicht mitgekriegt haben, wie haltlos scheinbar alle anderen an der Schule in meine Schwester verliebt waren.“
„Sie war sehr schön.“
„Und das einzige Mädchen im Umkreis von achtzig Kilometern. Es hat schon seine Gründe, dass Frauen weder auf Marine- noch auf Piratenschiffen erlaubt waren. Eine Frau allein
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