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Sklaven der Flamme

Sklaven der Flamme

Titel: Sklaven der Flamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel R. Delany
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sie nicht abbeugen. Und jetzt streckst du noch das freie Bein.« Er spürte, wie ihre Hand sein Knie durchdrückte. »He!« rief er. »Ich verliere das Gleichgewicht.«
    »Keine Angst, ich halte dich. Laß die Arme gestreckt. Wenn du nicht genau tust, was ich sage, plumpst du kopfüber in die Dachpappe. Zwei Meter sind nicht hoch, aber mit dem Kopf voran doch unangenehm.« Tel streckte die Ellbogen.
    »Ich zähle nun bis drei. Dann stößt du das gestreckte Bein mit aller Kraft nach unten und wirfst gleichzeitig den Kopf nach hinten. Eins …«
    »Was passiert dann?« wollte Tel wissen.
    »Mach einfach, was ich sage. Zwei – drei!«
    Tel warf den Kopf zurück und schwang das Bein nach unten. Er spürte, wie Alter ihm zusätzlich einen Schubs gab. Eigentlich hatte er die Augen schließen wollen, aber was er sah, faszinierte ihn so, daß er sie offen ließ. Der Himmel huschte an ihm vorbei, dann das Dach und Alters Gesicht. Einen Augenblick später tauchten die fahlblauen Türme von Toron auf. Sie deuteten alle in die falsche Richtung. Wieder der Himmel (ein Stern blinkte und wurde zum Kometen), das Dach, Alters lachendes Gesicht. Einen Moment lang hatte alles seine richtigen Proportionen, und er umkrampfte die Stange mit brennenden Händen. Als er merkte, daß er nicht weitersauste, schloß er die Augen und sagte: »Mmmmm.« Alter umklammerte mit festem Griff sein Handgelenk.
    »Das war jetzt ein doppelter Knieumschwung«, sagte sie. »Du hast das sehr schön gemacht.« Dann lachte sie. »Eigentlich sollte es ein einfacher Schwung werden, aber du hast dich immer weitergedreht.«
    »Wie komme ich jetzt hinunter?« fragte Tel.
    »Arme strecken.« Tel streckte die Arme.
    »Die eine Hand hierher.« Sie deutete auf die Stange zwischen seinem Knie und der anderen Hand. Tel verlagerte den Griff. »Und jetzt schwinge das Bein zur Seite.« Tel gehorchte, das Bein glitt über die Stange, und er stützte sich nur noch auf die Arme. »Nun nach vorn beugen und abrollen, aber ganz langsam.« Tel gehorchte. Einen Augenblick später pendelten seine Füße über die Teerpappe hin und her. Er ließ die Stange los und rieb sich die Hände. »Warum hast du mir nicht erklärt, was geschehen würde?«
    »Weil du es dann nicht getan hättest. Jetzt, da du weißt, daß du es schaffst, ist es viel leichter. Du hast in knappen fünf Minuten drei Tricks gelernt: den Knieaufschwung, den Knieumschwung rückwärts und das Vorwärtsabrollen. Das ist für den Anfang großartig.«
    »Danke«, sagte Tel. Er warf einen Blick zur Stange hinauf.
    »Eigentlich ist das alles merkwürdig. Ich meine, man macht es nicht bewußt. Man bewegt Arme und Beine irgendwie, und dann geschieht alles von selbst.«
    »Das stimmt«, entgegnete Alter. »So habe ich die Sache bisher nicht angesehen. Vielleicht werden deshalb nur diejenigen Menschen gute Akrobaten, die sich ganz entspannen können und den Dingen einfach ihren Lauf lassen. Man muß seinem Verstand und seinem Körper vertrauen.«
    »Oh«, sagte Tel. »Ich habe dich übrigens gesucht. Ich wollte dir etwas schenken.«
    »Danke.« Lächelnd schob sie eine weiße Locke aus der Stirn.
    »Hoffentlich habe ich es nicht zerbrochen.« Er zerrte ein wirres Knäuel aus der Tasche. Als er es ausbreitete, sah sie, daß er die Muscheln an dünnen Lederschnüren aufgereiht hatte. Durch winzige Knoten wurden sie an einer Stelle festgehalten. Die Kette bestand insgesamt aus drei Schnüren, eine immer länger als die andere. »Geryn gab mir die Schnüre, und ich zog die Muscheln heute nachmittag auf. Es ist eine Kette, siehst du?«
    Sie drehte sich um, und er verknotete die Enden unter ihrem Haar. Dann wandte sie sich ihm wieder zu. Ihre Finger spielten mit einer zartgrünen Trichterschnecke und streichelten eine Muschel, die rostrot schimmerte. »Danke«, sagte sie. »Ich danke dir vielmals, Tel.«
    »Möchtest du etwas essen?« fragte er und hielt die Frucht hoch. Dann schälte er sie ab.
    »Gern.« Er gab ihr die Hälfte davon, und sie schlenderten zum Dachrand, wo sie sich über das Geländer beugten. Ihre Blicke schweiften über die Straße, über die Hausdächer des Höllenkessels, hinauf zu den dunklen Gebäuden der vornehmeren Wohnviertel.
    »Weißt du, ich habe ein Problem«, begann Tel.
    »Keine Ausweispapiere, kein Zuhause. Ja, das ist schon ein Problem.«
    »Das meine ich nicht«, widersprach er. »Es gehört wohl auch mit dazu. Aber es ist nicht alles.«
    »Was ist es dann?«
    »Ich muß herausfinden, was ich

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