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Sklaven der Flamme

Sklaven der Flamme

Titel: Sklaven der Flamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel R. Delany
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entgegnete sein Gesprächspartner. »Aber der Rat dachte, es sei das beste, wenn Sie den Krieg erklärten.«
    »Oh. Deshalb also habe ich meine kleine Rede gehalten. Was sagt Mutter dazu?«
    »Es wäre unhöflich, das zu wiederholen, Sir. Man sperrte sie in ihren Räumen ein, und sie war sehr ungehalten.«
    »Kann ich mir denken«, meinte Uske. »Der Feind ist also ins Schloß eingedrungen und hat meinen dämlichen kleinen Bruder entführt?«
    »Nun, sicher weiß man das nicht«, erklärte die Stimme. »Aber da war noch die Sache mit den Flugzeugen heute morgen. Und so hat man vorsichtshalber die schärfsten Gegenmaßnahmen ergriffen.«
    »Nun, meinetwegen«, sagte der König. Man hörte Schritte. Dann war alles still.
    Als Jon um die Ecke bog, sah er, daß der Garderobenschrank nur angelehnt war. Er öffnete die Tür, holte einen weiten Umhang mit Kapuze heraus und streifte ihn über. Dann trat er in die Diele hinaus und ging am Portier vorbei ins Freie.
    Die Frau mit dem Muttermal auf der linken Wange stützte sich auf einen Stock und ging unsicher die Straße entlang. Sie hatte eine Blechschüssel in der Hand und trug eine dunkle Brille. »Ein Almosen für eine arme Blinde«, rief sie mit weinerlicher Stimme. »Ein Almosen für eine Blinde.« Jemand warf eine Münze in die Schüssel, und sie nickte lächelnd. »Willkommen in der Neuen Welt. Viel Glück auf der Insel der ungeahnten Möglichkeiten.«
    Der Mann, der ihr das Geld zugeworfen hatte, tat ein paar Schritte und blieb dann stehen. »He«, sagte er, »wie können Sie wissen, daß ich hier fremd bin, wenn Sie nichts sehen?«
    »Fremde sind großzügig«, erklärte Rara. »Wenn jemand schon lange hier lebt, dann hat sich sein Herz verhärtet.«
    »Wissen Sie, man hat mich gewarnt«, sagte der Mann. »Ich soll auf blinde Bettler achten, die in Wirklichkeit gar nicht blind sind. Mein Vetter …«
    »Nicht blind!« schrie Rara. »Nicht blind? Ich habe eine Lizenz! Ich darf in bestimmten Straßen betteln, weil ich das Augenlicht verloren habe. Wenn Sie weiter so mißtrauisch sind, zeige ich sie Ihnen.« Mit hochgeworfenem Kopf wandte sie sich ab und tastete sich in die entgegengesetzte Richtung. Der Mann kratzte sich am Kopf und ging eilig weiter.
    Wenige Sekunden später kam ein anderer Mann um die Ecke. Er war in einen weiten grauen Umhang gehüllt und hatte die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Vor der Frau blieb er stehen.
    »Ein Almosen für eine Blinde!«
    »Können Sie das hier gebrauchen?« fragte der Mann. Aus seinem Umhang holte er eine Brokatjacke mit feiner Silberstickerei.
    »Natürlich«, entgegnete Rara leise. Dann hüstelte sie. »Äh – was ist es?«
    »Eine Jacke«, sagte Jon. »Sehr schön gearbeitet. Vielleicht können Sie das Ding verkaufen.«
    »Oh, danke. Vielen Dank, Sir.«
     
    Ein paar Straßenblöcke weiter erhielt ein zerlumpter Junge von dem gleichen Mann ein weißes Seidenhemd. Der Kleine war starr vor Staunen. Vor einer Haustür zwei Gassen entfernt stellte er ein Paar schwarze Stiefel mit offenen Fersen und Kappen ab. Sie waren mit goldenen Schnallen verziert. Genau vierzig Sekunden später wurden sie von einer Zofe gestohlen, die sich auf dem Heimweg von der Arbeit befand. Der kleine Finger ihrer linken Hand fehlte. Einmal blieb der Mann im grauen Umhang unter einer Wäscheleine stehen. Er sah sich um und hob ein Bündel hinauf, das sich als dunkelgraue Hose entpuppte. Eine Straße weiter warf er die letzten Kleidungsstücke ohne Umstände in ein offenes Fenster. Als Jon um die nächste Ecke bog, sah er eine dunkle Gestalt, die sich in einen Hauseingang preßte. Der Mann folgte ihm offensichtlich.
    Jon ging ganz langsam durch die Gasse. Er hielt sich im Schatten. Der Strolch schlich dicht an ihn heran, dann packte er seinen Umhang und riß ihn weg. Er tat einen Sprung nach vorn.
    Aber er faßte ins Leere. Einen Moment lang stand der Ganove da, den grauen Umhang in der Hand, und überlegte, wo der Besitzer des Kleidungsstücks sein mochte. Dann traf ihn etwas am Kinn. Er stolperte zurück. Etwas traf ihn im Magen. Er schwankte unter die Straßenlaterne. Plötzlich stand ein ganz und gar transparenter Mensch vor ihm. Dieser Mensch versetzte ihm einen durchaus kräftigen Kinnhaken. Der Strolch verlor das Bewußtsein.
    Jon schleppte den Mann in eine dunkle Seitengasse. Im nächsten Moment war er unsichtbar. Er zog die zerlumpten, stinkenden Kleider des kleinen Gangsters an. Die Schuhe mußte er zurücklassen. Sie paßten ihm nicht.

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